kabolzschüsse
: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart

Speckbrett

Speckbrett hat das Zeug zum Volkssport. In jeder gut sortierten Küche ist es zu finden. Pflegt man darauf Lebensmittel in mundgerechte Portionen zu zerteilen, so steckt in diesem Holzbrett sportives Potenzial. Man muss es nur ein wenig bearbeiten. Dazu gehe man in den Hobbykeller, greife zur Laubsäge und entferne überflüssiges Holz. Hat man einen übergroßen Tischtennisschläger herausgesägt und den Griff bandagiert, bohre man exakt zweiundneunzig fingerkuppengroße Löcher in den Rohling. Nun noch ein paar Schleifarbeiten zur Abrundung und ab auf den Tennisplatz, um das Speckbrett zu testen.

So hat es sich einst zugetragen in Deutschland, das sich damals an Zuckerbrot und Peitsche labte – dessen Proletariat jedoch mit einer senfbestrichenen Speckbemme den schnellen Hunger stillte. Es war eine kleine Revolution, die ein paar Turner mit dem zweckentfremdeten Küchenutensil auf Ascheplätzen vom Zaun brachen. Dort, wo der Adlige mit dem Bourgeois in weißer Kluft das Racket schwang. Die Unverdrossenen aber schämten sich nicht der Flettflecken auf ihren Turnhosen, die vom Speckbrett herrührten. Sie schlugen munter den Filzball übers Netz.

Vom Klassenkampf ist nicht viel geblieben. Beziehungsweise: Er wurde verloren. In Berlin hat man der Speckbrettgemeinde ein paar Plätze in Charlottenburg gelassen. Versteckt am Maikäferpfad, das Mommsenstadion ganz in der Nähe, gehen die Speckbretter ihrem Sport nach. Etwa 100 sind es noch. Unter Kiefern pflegen die Spieler nach einer Trainingsstunde zu ruhen oder in der Gaststätte des Vereins für Körperkultur 1901 e. V. zu speisen: zum Beispiel Scholle, Speck und Gurkensalat für 19,90 Mark. Oder Specksalat und Bulette für 7,80 Mark.

Das Speckbrett-Feld ist kleiner als ein Tenniscourt. Das Netz ähnlich hoch. Der Ball ist der gleiche, die Zählweise wiederum nicht. Wie beim Tischtennis ist bei 21 Punkten ein Satz zu Ende. Zwei gewonnene reichen zum Sieg.

Heutzutage schwingt der Mittelstand das Fichtenbrett. Mit dem Werbefachmann oder dem VW-Autoverkäufer ist auch die Scham der Kleinbürger vor der eigenen Geschichte eingezogen. Einzig ein vergilbtes Foto dokumentiert den Mut der Ahnen. Sonst sind die Spuren verwischt. Es wurde sogar versucht, Speckbrett umzubennen – in Hardball. Das ist zum Glück gescheitert.

Eine Dame, die Speckbrett vehement vom Strandvergnügen Paddle-Tennis oder Softball abgrenzt, echauffiert sich immer noch, weil vor Jahren in einem Zeitungsbericht stand, bei einem Speckbrett-Turnier sei eine Spielerin im Bikini aufgelaufen. Also, hier bei uns spielt keiner im Bikini, schreiben Sie das bitte, sagt die Dame. Den Beisatz „Tennis für Arme“ hört sie natürlich auch nicht gern.

Der Nachwuchs hat Berührungsängste vorm Speckbrett, was nicht ganz nachzuvollziehen ist, da man im Speckbrett-Spiel ganz schnell Weltmeister werden kann. Das Championat wird in Münster ausgetragen. Und in Münster ist Speckbrett eine Riesending. Dort bietet sogar Karstadt Speckbretter zum Kauf an, für 80 Mark. Doch die Berliner schwören auf die Handarbeit eines Münsterischen Schreinermeisters. Der macht die Bretter nämlich handlich leicht: zwischen 400 und 500 Gramm.

Gespeckbrettet wird auch in Duisburg, Unna und Osnabrück. Wo noch in der Welt, weiß die Speckbrett-Sport Aktionsgemeinschaft (S.P.A.G) nicht. Ist auch nicht nötig. Wozu nach lästiger internationaler Konkurrenz fahnden, wenn man im Münsterland das Weltniveau bestimmt. MARKUS VÖLKERAuf der Außenseiterskala von null bis zwölf: 11 Punkte