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Mach’s gut, Renate!

Mit dem Wechsel von Renate Künast an die Bundesspitze der Grünen geht eine Ära in der Berliner Landespolitik zu Ende. Die Lücke ist schwer zu füllen

von DOROTHEE WINDEN

Der Wechsel von Renate Künast an die Spitze der Bundespartei reißt eine Lücke in den Berliner Landesverband. 21 Jahre lang mischte Künast bei den Berliner Grünen mit. In den letzten zehn Jahren war die 44-Jährige eine der wichtigsten Führungspersönlichkeiten.

Wenn die Fraktionschefin heute morgen in einem Schreiben an den Parlamentspräsidenten ihr Mandat zurückgibt, kann man getrost davon sprechen, dass für die Grünen eine Ära zu Ende geht.

1985 zog die Juristin zum ersten Mal in das Berliner Abgeordnetenhaus ein. Weil bei den Grünen damals noch die strengen Regeln der Rotation galten, musste sie ihr Mandat zwei Jahre später wieder aufgeben. Doch 1989, als Rot-Grün überraschend die Wahl zum Abgeortnetenhaus gewann, saß sie wieder im Parlament.

Mit 34 Jahren fiel ihr die schwierige Aufgabe zu, als Fraktionschefin die turbulente rot-grüne Fraktion zusammenzuhalten. Doch mit der Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße durch den SPD-Innensenator platzte das Bündnis im November 1990.

Es folgten zehn Jahre Opposition gegen die große Koalition, in denen Künast immer eine treibende Kraft in der Fraktion war. Sie lässt nicht locker und kann andere mit ihrer Energie mitreißen, schildern Mitstreiter ihre Qualitäten. Sie ist kämpferisch und setzte mit ihren Wortattacken so manchem Innensenator zu. Zuweilen schoss sie dabei auch übers Ziel hinaus, was einen CDU-Abgeordneten einmal zu der freundschaftlich gemeinten Bemerkung verleitete: „Sie sollte ab und zu mal vom Gas runtergehen.“

Als Spitzenkandidatin erlangte Künast im Abgeordnetenwahlkampf 1999 einen sehr hohen Bekanntheitsgrad: 60 Prozent waren ein außergewöhnlicher Wert für eine Oppositionspolitikerin.

Künast, die sich in den 70er-Jahren in der Anti-Atomkraft-Bewegung engagierte und sich für die Stärkung demokratischer Rechte einsetzte, verkörpert grüne Identität. Und das in einer seltenen Kombination: Sie steht für die Vergangenheit und die Zukunft der Grünen zugleich. Denn sie ist eine der wenigen, denen die Verbindung der traditionellen grünen Themen wie Ökologie, Bürgerrechte und Feminismus ebenso am Herzen liegen wie die Zukunftsthemen Generationengerechtigkeit und Rente.

„Wir müssen Brücken zwischen alten und neuen Politikfeldern bauen“, schrieb sie im Mai 2000 gemeinsam mit drei Nachwuchsgrünen in dem Positionspapier, das Wege zur „Mehr-Generationen-Partei“ aufzeigt. Die Jugend wieder stärker für die Grünen zu gewinnen, hatte Künast spätestens nach der verlorenen Wahl im Herbst 1999 als strategische Aufgabe erkannt.

In den vergangenen Jahren hat Künast das Profil der Grünen als Partei der demokratischen Rechte entscheidend mitgeprägt. Herausragend war ihr Einsatz bei der parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes: Sie wälzte die Akten intensiver als manch einer ihrer Kollegen im Verfassungsschutzausschuss.

Gerade zu Zeiten der großen Koalition war sie oft die einzige, die Fehlentwicklungen bei der skandalgeschüttelten Behörde fachkundig bloßlegte. Dem Kontrollausschuss gehörte sie an, seit er 1989 unter der rot-grünen Regierung eingerichtet worden war. Der Grenzen des Gremiums war sie sich immer bewusst. Schon 1990 stellte sie fest: „Wir stochern mit der Stange im Nebel, treffen aber mal auf eine Leiche.“

Selbst aus der Opposition heraus gelang ihr 1999 ein rechtspolitischer Erfolg. Gemeinsam mit ihrer Fraktionskollegin Ingrid Lottenburger brachte Künast das Informations- und Freiheitsgesetz auf den Weg. BürgerInnen haben nun ein Einsichtsrecht in Verwaltungsakten.

An der Erarbeitung einer gemeinsamen Verfassung für Ost- und Westberlin war Künast Anfang der 90er-Jahre als Vorsitzende der Enquetekommission des Abgeordnetenhauses beteiligt. Sie setzte durch, dass eine Antidiskriminierungsklausel für Lesben und Schwule in die Verfassung aufgenommen wurde. „Jura ist mein Werkzeugkasten“, sagte sie einmal.

Und so münzte sie auch ihren einzigen Fehltritt in eine rechtspolitische Initiative um: Bei der Einweihungsparty des Magazins Focus nahm sie im Oktober 1999 wie andere Politiker einen Palm-Organizer als Werbegeschenk entgegen. Im Gegensatz zu Senatoren, die damit gegen eine Verwaltungsvorschrift verstießen, hatte sich Künast rechtlich nichts zuschulden kommen lassen. Die entdeckte Gesetzeslücke wollte sie mit einem Antrag schließen: Abgeordneten soll künftig die Annahme von Geschenken im Zusammenhang mit ihrem Amt untersagt werden. Noch hat das Parlament darüber nicht entschieden.

Mit dem Wechsel in den grünen Bundesvorstand ist Künast für den Landesverband aber nicht ganz aus der Welt. „Sie wird im Landesverband weiterhin präsent sein“, sagt Landesvorstandssprecher Andreas Schulze.

Die Fraktion wählt morgen ihre NachfolgerInnen. Als Fraktionsvorsitzende kandidieren Sibyll Klotz und Wolfgang Wieland, die schon 1996 bis 1998 gemeinsam amtierten. Auch wer Künast im Rechts- und Verfassungsschutzausschuss beerben wird, entscheidet sich morgen. Eines steht jedenfalls fest: Leicht wird es nicht sein, Renate Künast zu ersetzen.

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