: Die späte Rache der Kleingeister
Brandenburgs Kulturminister hält Konrad Wolf für unbekannt. Nachhilfeunterricht gibt’s heute Abend im Freiluftkino
Dass 1985 die Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) den Ehrennamen „Konrad Wolf“ erhielt, kann aus heutiger Sicht durchaus als eines der wenigen Anzeichen für so etwas wie eine ostdeutsche „Perestroika“ gelesen werden. Nicht nur weil Konrad Wolf zu den integersten und professionellsten Künstlerpersönlichkeiten der DDR gehörte – die Namensgebung ist aufs engste verbunden mit der Rektorenschaft Lothar Biskys von 1986 bis 1990. Unter seiner Leitung nämlich wandelte sich die idyllisch gelegene, auf zahlreiche Villen verteilte Schule binnen kurzem von der filmischen Kaderschmiede zum Labor des Ungehorsams gegenüber der Politbürokratie. Plötzlich war es möglich, lang tabuisierte Themen aufzugreifen, die Studenten konnten ihre Filme persönlich auf Festivals vertreten, sogar im westlichen Ausland. Auch gegen den Widerstand innerhalb der Hochschule setzte Bisky seine Reformen durch; er genießt deshalb bis heute bei ehemaligen Studenten einen fast mythischen Ruf. Vielleicht ist es ja diese assoziative Nähe der Namen Lothar Bisky und Konrad Wolf, die Brandenburgs Kulturminister Wolfgang Hackel jetzt Sturm laufen lässt. Seine Behauptung, der Name Konrad Wolf könne wegfallen, „da er international wenig oder überhaupt keine Bedeutung hat“, spricht von mehr als nur von Unkenntnis.
Für einen Kulturminister stellt die Aussage ein Armutszeugnis erster Güte dar. Konrad Wolf (*1925) repräsentierte als Sohn des Dramatikers Friedrich Wolf und Bruder des Stasi-Generals Markus Wolf auch immer staatsbürgerlichen DDR-Konsens; doch im Gegensatz zu anderen Funktionären ließ er sich nicht mit Privilegien einlullen, nutzte im Gegenteil seine prominente Position (vor allem als Präsident der Akademie der Künste) für eine subtile Unterwanderung des kulturpolitischen Spätstalinismus ostdeutscher Spielart.
Seine Filme zeugen nicht unbedingt von avantgardistischer Machart, wohl aber von einem humanistischen Gestus, der von persönlichen Erfahrungen mit Nationalsozialismus, Stalinismus und Krieg geprägt war. Sie verkörpern zudem absolute Ausnahmen von der Regel kleinbürgerlicher Konvention, die sonst den DEFA-Kanon beherrschte. Arbeiten wie „Sterne“ (Goldene Palme), „Ich war 19“ und „Solo Sunny“ (Silberner Bär) sind schon jetzt Bestandteile einer noch zu schreibenden gesamtdeutschen Filmgeschichte.
Unmittelbar nach Hackels Ausfällen reagierten u. a. die Filmmuseen Berlin und Potsdam, die DEFA-Stiftung sowie die Akademie der Künste (die auch regelmäßig einen Konrad-Wolf-Preis auslobt) mit Protestschreiben. Passenderweise bietet sich momentan die seltene Gelegenheit, eine weithin unbekannte Facette des wolfschen Oeuvres kennen zu lernen. 1982, zwei Jahre nach dem Tod seines Freundes Ernst Busch, drehte Konrad Wolf seinen letzten Film: eine sechsteilige, insgesamt 325 Minuten dauernde dokumentarische Biografie, in der sich Hoffnungen, Widersprüche und Tragödien des gesamten 20. Jahrhunderts spiegeln. Busch zerbrach wie Wolf selbst an den Paradoxien des ostdeutschen Realsozialismus. Der Sänger, Schauspieler („Die Dreigroschenoper“), Kommunist, Spanienkämpfer und Gestapo-Häftling verkam später zur Ikone der DDR, trank schwer und starb verbittert. Zum 20. Todestag des Künstlers sind jetzt alle sechs Dokumentarfilmteile unter freiem Himmel zu sehen: ein wirkliches Magnum Opus, das DDR-Tabus wie West-Emigration oder parteiinterne Dissidenz erstmals öffentlich machte. Nicht nur für Minister ein sinnvolles Fortbildungsprogramm.
CLAUS LÖSER
Teil 1–3 am 27. 6. um 21.45 Uhr;Teil 4–6 am 28. 6. um 21.45 Uhr;Freiluftkino Friedrichshain
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen