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Routinierte Hysterie

Wenn sich das ZDF jugendlich gibt, kommen Sendungen wie „Chart Attack“ dabei heraus

von PEER SCHADER

Im Industriegebiet der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz, gleich neben den örtlichen Glaswerken, steht eine alte Maschinenhalle, die heute im Wesentlichen für Theaterproduktionen genutzt wird. Die Ortsangabe ist wichtig, schließlich vermutet man in dieser eher tristen Gegend kaum den Produktionsort einer bunten Teenie-Popwelt, einem Schlaraffenland für Heranwachsende.

In der Phoenixhalle in Mainz-Mombach produziert das ZDF seit knapp eineinhalb Jahren die 1996 gestartete ZDF-Sendung „Chart Attack“. Und beglückt allwöchentlich all die Teenager, die noch auf die Idee kommen, öffentlich-rechtlich fernzusehen, mit Performances von Künstlern, die entweder den Sprung in die deutschen Charts bereits geschafft haben – oder die das Zeug dazu haben. Denn im Gegensatz zur RTL-Konkurrenz „Top of the Pops“ will man auch Newcomern ein Forum bieten.

Triste Oase des Pop

Vor der Halle fällt kaum auf, dass hier zielgruppenorientiertes Fernsehen gemacht wird. Ein Ü-Wagen, einige Kabel, sonst nur triste Backsteinmauern, hohe Glasfenster und Industriegebiet-Charme. All das ändert sich schlagartig, sobald man das improvisierte Studio betritt. Der erste Eindruck: Hier ist der Pop zu Hause. Obwohl in der Halle vor Drehbeginn nur Mitglieder des Produktions-Teams unterwegs sind, knallt das bunte Ambiente, in dem hier gearbeitet wird. Aus der langweiligen Industriehalle ist eine aufgemotzte Hitmaschine geworden.

Jeweils freitags wird die jeden Samstag ab 12.30 Uhr ausgestrahlte Sendung aufgezeichnet. Die 20-jährige Simone Hafa ist die Schnittstelle zwischen Kids und Hits. In diese Rolle passt sie auch und macht auf fröhliches Energiebündel, stets gut gelaunt und professionell: Stress lässt frau geduldig über sich ergehen.

Die Playback-Proben gehen weitgehend problemlos über die Bühne: Die finnische Mädchenband TikN’Tak schreddert gitarrenklirrend ihr „Upside Down“, Justine folgt strahlend mit „You’re My Sunshine“, bevor Lockenkopf Worthy Davis „Forever“ ins Mikro säuseln darf – alles wie nachher in der Sendung.

Flaute in den Ferien

Viele der Interpreten sind gerade einmal so alt wie ihre Zuschauer und wollen schon erst recht nicht zum Senioren-Image des ZDF passen. Die 15-jährige Junia tänzelt dennoch wie ein Profi durch ihre dreiminütige Pop-Hymne „Skaterboy“ und ist damit bestes Beispiel dafür, dass marktgerechter Pop gleichzeitig Pop von der Zielgruppe für die Zielgruppe ist.

Endlich beginnt die Aufzeichnung: diesmal ohne Generalprobe, man möchte zeitig fertig werden. Draußen wartet außerdem das junge Publikum, sitzt schon seit Stunden vor der Halle, um einen Blick auf die Stars zu erhaschen. Und jeder darf – ach was, muss – nach dem Einlass ganz vorne an der Bühne stehen, sonst sieht es nachher im Fernsehen so leer aus. Die Sommerferien hinterlassen ihre Spuren, der Publikumsandrang ist längst nicht so groß wie während der Schulzeit.

Ganze 120 Teenies haben es sich an der Bühnenabsperrung gemütlich gemacht, und der ausgeliehene Anheizer vom Kommerz-Radio RPR – Medienpartner des ZDF – hat auch noch seine liebe Not, die paar pubertierenden Pop-Kids in Stimmung zu bringen. Die Show läuft dann ebenso souverän ab wie die Proben: Hafa saust von einer Moderation zur nächsten, kündigt an und leitet über, springt zwischen den Künstlern hervor und die Treppen herab. Derweil wird im Hintergrund in Sekundenschnelle auf- und umgebaut, damit die Tänzer des nächsten Acts Platz haben – alles ohne einen einzigen Schnitt.

Schade nur, dass zur Aufzeichnung Publikum gebraucht wird. Richtig große Stars sind diesmal nämlich keine dabei, die Begeisterung der Mädels hält sich daher ebenso wie der Applaus in überhörbaren Grenzen, nur Autogramme wollen sie alle – da ist es egal, wer auf der Bühne steht.

So hängen die Kids apathisch an der Absperrung und kümmern sich gar nicht so recht um das, was vor ihnen auf der Bühne passiert, klatschen aber artig-arhythmisch zu den Klängen des Zielgruppen-Pops. (Im Fernsehen sieht das später dann nach wahrer Fan-Hysterie aus.) Fünf Minuten nach Aufzeichnungsende ist die Phoenixhalle schon wieder leer.

In Windeseile wird die Technik abgebaut, und der Schlaraffenlandzauber verschwindet.

Single-Version von Viva

„Chart Attack“, nur 25 Minuten lang, macht übrigens zur Zeit 100 Prozent des ZDF-Jugendprogramms für Teeanger aus. Mit Chart-Zapping, Kino-Tipp und Gewinnspiel ist die Produktion, angelehnt an die etablierten Formate der Musikkanäle, eine professionelle Komprimierung von 24 Stunden Viva-Programm.

Kein Wunder, mit dem Kölner Clipsender wird schließlich kooperiert: Jeden Freitag wählen die Viva-Zuschauer in der Sendung „Interaktiv“, wer in der darauffolgenden Woche bei „Chart Attack“ dabei sein darf. Und so darf dann auch jede Woche einer der Viva-Stars Simone Hafa als Co-Moderator unter die Arme greifen.

Wenn es um die Berücksichtigung der Produktion in der ZDF-Programmplanung geht, wird „Chart Attack“ jedoch eher stiefmütterlich behandelt. Samstags um 12.30 Uhr hat die Zielgruppe eben doch noch Besseres zu tun als fernzusehen. Und so dümpeln die Einschaltquoten immer um die Millionengrenze herum, der Marktanteil liegt bei drei bis vier Prozent.

Auch das finanzielle Polster für die Redaktion ist eher mäßig: 60.000 Mark darf eine Sendung kosten, gerade mal 2.400 Mark pro Minute – ein Taschengeld im TV-Bereich, für das sonst höchstens Gameshows zu haben sind. Bemühungen um einen anderen Sendeplatz blieben bisher ebenfalls erfolglos. „Immer wieder wird uns gesagt, dass kein anderer Platz frei ist“, sagt Antje Beling aus der „Chart Attack“-Redaktion.

Was also wollen die ZDF-Verantwortlichen wirklich? Eine Verjüngung von Programm und Zuschauern wohl kaum, sonst wäre die Bereitschaft, auf neue Zielgruppen einzugehen und dementsprechende Programme zu fördern, sicher größer.

Vorerst bleibt „Chart Attack“ also die einzige Alibi-Jugendinsel im Mainzelmännchen-Seniorenprogramm. Jedenfalls bis zum Ende des Jahres, dann steht das Format noch mal auf dem Prüfstand. Bis dahin wird in Mainz-Mombach aber noch jede Woche das Schlaraffenland aufgebaut. Und auch die Sommerferien gehen ja glücklicherweise irgendwann einmal zu Ende.

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