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wirtschaftsfreundliche eiskunde

von KATHRIN PASSIG

Neulich wurde ich von einem jungen Mann belästigt, der mir ein Zwei-Wochen-Kostenlos-Abo der Süddeutschen Zeitung verkaufen wollte. Ich gab ihm in allen Punkten Recht und sagte, die Süddeutsche sei in der Tat eine ganz wunderbare Zeitung, vom prächtigen Magazin über die bildende jetzt-Beilage bis hin zu „Umwelt, Wissenschaft und Technik“. Fast hatte er schon selbst die Bestellkarte unterschrieben, da wandte er kläglich ein, er lese ja doch lieber die taz, die Süddeutsche sei ihm zu wirtschaftsfreundlich. Wirtschaftsfreundlich! Niemand soll behaupten, die taz könne dem Schweinesystem nicht ebenso gut in den KapitalistInnenarsch kriechen wie andere auch: Ich fange mal mit der Firma Schöller an.

Wer sich Autobahntankstellen nähert, wird ja immer mit der vollkommen uninteressanten Auskunft behelligt, welche Marke Benzin man dort vorrätig hält. Dabei schmeckt Benzin überall gleich, und es ist eine ganz andere, wichtige Information, die der Konsument begehrt: Ist das Eis von Langnese oder Schöller? Die billig schmeckenden epigonalen Nachbauten Caretta, Beach Cola und Nucki von Schöller haben nur dann eine Chance beim Kunden, wenn sich im weiten Umkreis ganz bestimmt keine Langnese-Verkaufsstelle der zeitlosen Vorbilder Capri, Calippo und Cornetto findet.

Erst seit diesem Sommer ist alles anders. Schöller ist es, wer weiß, durch welchen Pakt mit dem Teufel, erstmals seit Menschengedenken gelungen, ein Eis von köstlichem Wohlgeschmack auf den Markt zu bringen, das keiner existierenden Langnese-Sorte gleicht. Die Rede ist vom sowohl ästhetisch als auch geschmacklich wirklich großen Wurf „Racer“, einem bezaubernd lilafarbigen Wassereisprodukt in schnittiger Rennwagenform. „Racer“ besteht aus den zwei Komponenten Himbeer und Waldfrucht, die sich elegant umeinander schmiegen, sodass man hingebungsvoll die Hülle abknuspern und zum zarten Kern vordringen kann. Das gilt natürlich nur für Beißer wie mich und nicht für Lutscher wie Frl. Strübel, die durch Calippo-Fellatio bereits Auffahrunfälle an der Fußgängerampel verursacht hat. „Racer“ ist der erste echte Konkurrent im „Capri“-Segment und hat das Zeug dazu, für kommende Generationen so identitätsstiftend zu wirken wie für meinen Jahrgang das längst nicht mehr aufgelegte CujaMara-ohne-Split. Ach, wo ist das Eis vom vergangenen Jahr, Firma Langnese-Iglo? Warum musste CujaMara gehen, während uns der abstoßende Ed v. Schleck wohl ewig erhalten bleiben wird?

Wenn uns nicht schon in jungen Jahren die Augen über die Niedertracht der Produzenten und den komplett fehlenden Zusammenhang zwischen Nachfrage und Angebot geöffnet worden wären, könnten wir heute wirtschaftsverherrlichende Zeitungen lesen wie die anderen Kinder auch, anstatt zum himbeerfarbigen Konkurrenzprodukt zu greifen. Vier Mark bekommt man übrigens, wenn man nach einem aufreibenden Verkaufsgespräch jemanden gekeilt hat, zwei Wochen die SZ zu lesen. Was daran wirtschaftsfreundlich sein soll, weiß ich auch nicht.

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