: Der Prozess von Schiras
Sie haben gestanden und widerrufen. Morgen werden sie verurteilt: 13 iranische Juden und angebliche Mossad-Agenten
von THOMAS DREGER
Das Blechtor ist unscheinbar, aber hoch, die Mauer mit metallenen Spießen gespickt. Hinter dem Tor öffnet sich ein großer Hof, daneben ein prachtvoll geschmückter Gebetsraum. Einige hundert Männer mit Kipas auf dem Kopf und in einem separaten Raum Frauen mit Kopftüchern haben sich hier versammelt. Sie halten schwarze Bücher in den Händen, wippen mit den Oberkörpern und murmeln Gebete.
Besuch in einer Synagoge in der südiranischen Stadt Schiras. Etwa 6.000 Mitglieder zählt die hiesige jüdische Gemeinde. Ihre Mitglieder gelten als konservativ und geschlossene Gemeinschaft. Konflikten mit der schiitischen Bevölkerungsmehrheit gehen sie aus dem Weg, gelten sie den Muslimen doch als „Dimmis“ – beschützenswerte Anhänger einer „Buchreligion“.
Doch seit vergangenem Jahr ist das anders. Damals verhafteten die iranischen Behörden dreizehn Gemeindemitglieder. Acht von ihnen erschienen inzwischen im staatlichen Fernsehen und gestanden: Sie hätten für den israelischen Geheimdienst spioniert. Morgen will das örtliche Revolutionsgericht die Urteile gegen die Angeklagten verkünden. Im schlimmsten Fall droht ihnen die Todesstrafe.
Der stellvertretende Gemeindevorsitzende Ischak Niknava ist nicht sehr gesprächig. Auskünfte zu dem Fall erteilt er nur mit Genehmigung des Ministeriums für Kultur und Islamische Führung. Und auch dann beteuert er nur sein „Vertrauen in die Justiz“.
„Glauben Sie Niknava kein Wort“, erklärt ein älteres Gemeindemitglied, das Wert darauf legt, dass sein Name ungenannt bleibt. „Er arbeitet für den Geheimdienst und kommt nur zu den Gottesdiensten, um zu hören, was hier gesprochen wird.“ Der Vizevorsitzende sei schon zu Schahzeiten für dessen Savak tätig gewesen.
Etwa 80.000 Juden lebten bis zum Sturz des selbst ernannten Gottkönigs Resa Pahlevi in Iran. Während der Revolution wurden sie als „zionistische Agenten“ verfolgt. Wer konnte, setzte sich ab. Vor allem junge Gemeindemitglieder zog es in die USA, eine Minderheit wanderte nach Israel aus. Kontakte nach Israel sind ihnen streng verboten, finden aber per Post und in Einzelfällen durch Reisen über Drittländer statt.
„Die Geständnisse sind erpresst worden“, ist das Gemeindemitglied überzeugt, „inzwischen haben alle widerrufen.“ Nur das habe das Fernsehen nicht berichtet. Weil das Fernsehen anders als die Presse als Teil der Propagandamaschine der iranischen Konservativen gilt, sind von ihm ausgestrahlte Geständnisse wenig glaubwürdig.
In Wirklichkeit ginge es in dem Prozess nicht um Spionage, meint der Mann. Vielmehr betrachte die iranische Staatsführung die Angeklagten als Geiseln. Sie sollten ausgetauscht werden gegen mehrere iranische Diplomaten, die israelische Truppen vor Jahren im Libanon gekidnappt hätten.
„Die Juden hier sind Menschen zweiter Klasse“, erklärt das Gemeindemitglied. Er selbst sei Ingenieur und vor zwei Jahren entlassen worden, „weil ich Jude bin“. Nun müsse er sich von seinen zwei Kindern aushalten lassen, das sei „beschämend“.
Zuletzt wurden in Iran am 29. Dezember 1997 zwei Juden hingerichtet. Auch damals lautete der Vorwurf Spionage für Israel. Der jetzige Prozess gilt weltweit als Politikum. Die israelische Regierung protestierte gegen die Verhaftung und beteuerte, die Angeklagten hätten keinerlei Kontakte zum Mossad gehabt. Jüdische Gemeinden weltweit forderten sogar den Dalai Lama auf, sich für die Bedrohten einzusetzen. Doch der lehnte ab: Sein Einfluss in der Islamischen Republik sei extrem begrenzt.
Der Justizsprecher von Schiras, Hossein Ali Amiri, beteuert die Unabhängigkeit der iranischen Justiz, erklärte aber zugleich, das Urteil werde im Rahmen einer Pressekonferenz verkündet. Und die Angeklagten würden nicht als „Moharib“ verurteilt, als „Krieger gegen Gott“. Die Todesstrafe wäre damit sehr unwahrscheinlich. Der Teheraner Richter Ajatollah Mortasa Moktadaei verkündete dagegen, ebenfalls auf einer Pressekonferenz, in dem Prozess seien Todesstrafen sehr wohl möglich.
Beobachter in Iran werten diese widersprüchlichen Angaben als Indiz dafür, dass der Prozess in Schiras Teil des Machtkampfes zwischen Irans Konservativen und Reformern ist. Tatsächlich würden Todesurteile gegen die Juden das internationale Ansehen des reformorientierten Präsidenten Mohammad Chatami weiter beschädigen.
Völlig aus dem Blick gerät dabei der eigentliche Hintergrund des Spionagevorwurfes. Die japanische Nachrichtenagentur Kyodo recherchierte in Schiras, dass einige der inhaftierten Juden und acht ebenfalls angeklagte Muslime bei einer Elektrofirma gearbeitet hätten. Diese habe zwischen 1994 und 1995 insgesamt 3.000 Fernrohre von der japanischen Firma Sun Beam K. K. bezogen und an das iranische Militär weitergeleitet. Mitglieder der jüdischen Gemeinde hätten dieses Wissen wahrscheinlich an Agenten des Mossad weitergeleitet. Ob sie allerdings über deren geheimdienstliche Tätigkeit informiert gewesen seien oder sie für einfache Gemeindemitglieder gehalten hätten, ist unklar.
Die iranische Führung schweigt zu den Enthüllungen. Stattdessen heißt es von der Justiz in Schiras, die Spionagevorwürfe bezögen sich auf die Zeit des iranisch-irakischen Krieges. Doch der ging bereits 1988 zu Ende. Zwischen Tat und Verhaftung wären demnach elf Jahre vergangen. Beobachter in Iran erwarten angesichts der iranischen Zurückhaltung, den wahren Sachverhalt aufzuklären, keine Todesurteile, sondern Haftstrafen. Die Verurteilten könnten dann von Irans religiösem Führer, Ajatollah Ali Chamenei, großzügig begnadigt werden – wenn es ihm denn politisch angebracht scheint.
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