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Heißer Sand

Im „Sommer der Entdeckungen“ bietet das ZDF nette Spekulationen zu populären Mythen

Als Nikita Chruschtschow bei seinem Staatsbesuch 1964 in Ägypten die Cheopspyramide besichtigen wollte, wurde ihm in einem Telegramm des KGB aus Moskau dringend davon abgeraten. Der Geheimdienst hatte nämlich herausgefunden, dass in der Pyramide geheimnisvolle Kräfte am Werke seien, die unheimliche Visionen, Erscheinungen und Gesichter verursachen würden. Chruschtschow fügte sich und besuchte nur ein paar Tempel.

US-Amerikanische Forscher haben mit Modellpyramiden experimentiert. Das Ergebnis: Alle Materialien, die dem Einfluss einer Pyramide aus Holz, Glas, Plastik oder Stein ausgesetzt werden, verhalten sich nicht so, wie sie sollten. Lebensmittel beispielsweise. Ein Stück Fleisch bleibt angeblich länger frisch, und es verwest auch nicht, sondern vertrocknet. Es mumifiziert.

Das alles klingt einigermaßen verrückt. Für Anhänger so genannter „Grenzwissenschaften“ nicht verrückt genug. In der Esoterikszene ist man unter anderem davon überzeugt, dass Pyramiden in Stein gehauene kosmologisch-mathematische Bibliotheken sind: Addiere man zur Kantenlänge der (Cheops-)Pyramide im Quadrat ihre halbe Höhe und multipliziere man das Ergebnis mit Pi und dann noch mal mit einer Million und ziehe schließlich davon die dritte Wurzel ab (oder so ähnlich), dann bekäme man die Anzahl der Saturnmonde, das Gewicht der Erde oder die Entfernung zum Mond heraus (oder so ähnlich).

Gewiss wurden weltweit in vielen Pyramiden astronomisch-kalendarische Daten eingebaut, zum Beispiel durch die Anzahl von Plattformen und Treppen. Aber selbst Laien erkenen schnell: Mit kruder Arithmetik könnten die Abmessungen der Cheopspyramide auch spielend dafür herhalten, schlüssig die Menge der Gummibärchen in einer Tüte Haribo zu errechnen. Leider hält sich dieser Eso-Quark und Krypto-Käse so frisch, als wäre er unter der Pyramide konserviert worden. Glücklicherweise ist die seriöse Auseinandersetzung mit den Rätseln alter Kulturen seit Jahren genauso pöpulär.

Das öffentlich-rechtlichen Fernsehen schlägt daraus mit Geschichts- und Archäologie-Dokus durchaus Kapital – vorneweg das ZDF. Mit einer Dokumentation über Pyramiden startet jetzt das Zweite am Sonntag ihre „Sommer der Entdeckungen“ genannte Sendereihe aus sieben Folgen. Ganz taufrisch sind die Beiträge nicht. Bei den Sendungen handelt es sich teilweise um ältere, bereits ausgestrahlte „Terra X“-Fassungen, die aber mit neuem Filmmaterial überarbeitet wurden.

Die erste Folge, „Planet der Pyramiden“, geht der Spekulation nach, ob der Pyramidenbau, der vor viereinhalb Jahrtausenden in Mesopotamien und Ägypten begann, einst auf verschlungenen Pfaden nach Europa und auf Papyrusbooten bis über den Atlantik in die „neue Welt“ verbreitet wurde. Der Orient als Entdecker Amerikas, die Pyramide als „Exportschlager“ der Antike: Eine gewagte These, die unter Historikern und Archaölogen (entgegen der Auffassung im Film) zurückhaltend vertreten wird, suggeriert diese These doch, die alten Mayas, Inkas und Olmeken hätten, unfähig zu eigenständigen Entwicklungen, die Ideen der „alten Welt“ einfach kopiert: Altamerika als Kulturempfänger!

Mittel- und südamerikanische Gelehrte lehnen diese These als typischen Auswuchs abendländischen Kulturchauvinismus und -imperialismus ab. Dazu aber schweigt sich das schön anzuschauende Bildungsfernsehen lieber aus. That’s Infotainment! MICHAEL KOCH

„Planet der Pyramiden – Weltweit zu den Göttern“ (So, 19.30 Uhr, ZDF) Weitere Themen jeden Sonntag um 19.30 Uhr: „Alexander der Große – Spurensuche in Ägypten“ „Karthago – Supermacht am Mittelmeer“ „Kleopatra – Königin der tausend Legenden“ „Atlantis – Das ewige Rätsel“ „Ramses – Der unsterbliche Pharao“ „Die sieben Weltwunder – Sensationen aus Menschenhand“

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