: Was von Stadt übrig bleibt
Operation Beton und andere Versuche, in der Wüste zu überleben: „Film und Architektur“ setzt die Urbanismus-Debatte mit anderen Mitteln fort. Das Festival macht sich auf die Suche nach den Synergieeffekten zwischen Kamera und CAD-Computer
von TOBIAS HERING
Derzeit findet in Berlin zum vierten Mal das ursprünglich von der Brotfabrik initiierte Festival „Film und Architektur“ statt. In seiner kurzen Geschichte hat es von einer viel versprechenden Programmidee zu einem kritischen Forum in der so genannten Urbanismus-Debatte entwickelt, und gerade in Berlin ergibt sich eine lockere Vernetzung innerhalb der zunehmend breiter diskutierten Thematik.
So gestaltet das Festival, für dessen Durchführung sich 1999 der Verein „Film und Architektur e. V.“ gründete, einen Teil des offiziellen Rahmenprogramms der Ausstellung „Architektur der Stadt – Stadt der Architektur“, die jetzt im Neuen Museum zu sehen ist. Thematisch verortet sich das Programm dieses Jahr zudem im Kontext der anstehenden Konferenz „Urban 21“, auf der Experten aus aller Welt über die Stadt der Zukunft und deren politische Relevanz debattieren werden. Darüber hinaus bietet das Festival bereits einen thematischen Ausblick auf die vom Forum Guardini für den Gropius-Bau kuratierte Ausstellung „Geist und Seele der Stadt“, die 2002 zum Rahmenprogramm des Weltkongresses der Internationalen Union der Architekten (UIA) gehören wird.
Das Festival bindet sich jedoch ebenso sehr in den thematischen Topos Stadt ein wie in die konkrete Topographie des städtischen Raumes. Veranstaltungsorte sind nicht nur die Kinos Brotfabrik und Arsenal, sondern etwa auch das Heizkraftwerk Mitte, das Atelierhaus Milchhof und die Raumerweiterungshalle „Intershop 2000“.
Die Schnittmengen, die sich zwischen den thematischen Feldern Film und Architektur ergeben, verdanken sich Überlagerungen aus beiden Richtungen, die zunächst nicht eindeutig zurechenbar sind: Die Dramatisierung von Architektur im Film ist ein ebenso spannendes Stück Realität wie die zunehmend kinematographisch inszenierte Architektur des öffentlichen Raumes. Vielleicht liegt die intimste Verbindung von Film und Architektur darin, dass beide auf ihre je eigene Art Formen der Gestaltwerdung des Erträumten sind.
Das Programm des Festivals erforscht diese Synergien mit einer unvoreingenommenen Informiertheit. Unter dem Titel „Raum/Schnitt/Denken“ versammeln sich Arbeiten, die mit den genuinen Mitteln das Films auf die Architektur reflektieren. Neben zwei Mini-Hommagen an die beiden amerikanischen Filmemacherinnen Shirley Clarke und Sharon Lockhart wird es hier „Operation Beton“ zu sehen geben, den tatsächlich ersten Film von Jean-Luc Godard, der sich in den 50er Jahren in einigen Auftragsarbeiten auf seine bereits sehr eigenwillige Art dem bebauten Raum genähert hat. Das Programm „Die Idee der Stadt“ präsentiert Filme, die sich architektonischen Visionen der Stadt mal ästhetisch experimentell, mal mit sozialkritischer Verve annehmen. Dokumentationen über stadtplanerische Antworten auf strukturelle Armut in der Industriegesellschaft werden hier neben Versuchen gezeigt, die architektonische Realität filmisch nachzuträumen. Matthias Müllers preisgekrönter Kurzfilm „Vacancy“ gehört ebenso hierzu wie Man Rays „Les Mystères de Château de D.“.
Wie schon in den vergangenen Jahren bietet das Programm in Zusammenarbeit mit anderen Festivals ein Forum für zeitgenössische Kurzfilme zum Thema. Die Kurzfilmtage Oberhausen, die Medien- und Architektur-Biennale Graz, das Stuttgarter Trickfilm-Festival und das Montrealer Festival „Cinema and Urban Remains“ gestalten jeweils einen Programmblock. Darüber hinaus wurde von den Veranstaltern dieses Jahr erstmals ein Kurzfilmwettbewerb ausgeschrieben. Unter einer Fülle von internationalen Einsendungen hat eine Jury einen mit 2.000 Mark dotierten Preis verliehen. Ausgewählte Wettbewerbsbeiträge werden im Rahmen des Festivals präsentiert.
Der kuratorische Anspruch des Festivals lässt sich nicht zuletzt daran ersehen, dass auf die Präsentation von Standardwerken weitgehend verzichtet wird. Die Vorführung von Wenders’ „Himmel über Berlin“ ausgerechnet im Tunnelgewölbe unter der Siegessäule ist eher eine sympathisch schmunzelnde Hommage an die so schwierig geliebte Stadt.
Der Programmteil „Film und Architektur Classics“ verzichtet hingegen auf die hinlänglich zitierten Publikumslieblinge und präsentiert stattdessen eine gut sortierte Auswahl von Klassikern, die vor allem mit ihrer dunkel visionären Filmarchitektur stilbildend wurden: Filme, an denen sich der Reiz erspüren lässt, die bebaute Gegenwart der Stadt als die Schnittstelle zwischen den Alpträumen der Vergangenheit und den Visionen von der Zukunft zu verstehen.
Bis zum 14. Juli in der Brotfabrik, im Arsenal, im Heizkraftwerk Mitte, im Atelierhaus Milchhof und im „Intershop 2000“. Programm und andere Infos unter www.filmundarchitektur.de
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