vorlauf: Heilsbringermit Handicap
„Mein Bruder, der Idiot“ (Fr., Arte, 20.45 Uhr)
Nachts klimpert er in einer Berliner Kaschemme Sinatra-Hits, in den frühen Morgenstunden kritzelt er die Noten für ein eigenes Musical aufs Papier. Auch sonst verhält sich Julian (Martin Feifel) wie jeder andere kreative Narziss: Frauen stößt er nach dem Beischlaf von der Bettkante, und von seiner Familie auf dem Lande will er nichts wissen.
Für die Zuschauer, die es dann immer noch nicht kapiert haben, diktiert er zum Mitschreiben: „Ich bin ein ausgebrannter asozialer Egoist.“ Wer kann diesem Mann noch helfen?
Ein behinderter Bruder zum Beispiel. Denn nach dem Tod der Mutter (Cornelia Froboess) soll sich der Pianist um Jakob (Michael Wittsack) kümmern, der unter dem Down-Syndrom leidet. Mark will nichts mit ihm zu tun haben. Schließlich ist er mit 16 von zu Hause ausgerückt, weil er den „Mongo“ nicht länger ertragen konnte. Der Zuschauer ahnt, dass der abgehalfterte Künstler erst mit seinem Bruder Frieden schließen muss, um mit sich selbst ins Reine zu kommen.
Das verlangen schließlich die Regeln des Buddy-Movie. Von „Rain Man“ über „Am achten Tag“ bis „Mifune“ – der Behinderte fungiert immer wieder als Heilsbringer. So gesehen fügt „Mein Bruder, der Idiot“ dem Genre kaum neue Aspekte hinzu. Trotzdem finden sich einige starke Szenen. Regisseur Kai Wessel verzichtet weitgehend auf die Betroffenheitsrituale handelsüblicher Sozialpädagogen-Soaps. Mit trockener Komik demonstriert er die Überlegenheit des zupackenden Jakobs gegenüber dem zaudernden Julian: Den Teddybären, den ihm der Bruder zur Gewissensberuhigung schenkt, schmeißt er mit einer lakonischen Bemerkung zur Unangemessenheit des Präsents aus dem Fenster. Und als die Geschwister am Ende gemeinsam eine Suppenküche eröffnen, klettert Jakob auf schwindelerregend hohe Kräne, um bei Bauarbeitern für die Gaststätte zu werben. Julian, der Idiot, klimpert derweil nur unnütz auf dem Klavier rum.
CHRISTIAN BUSS
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