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Dialektiker im Lotosland

Mondo culturale 1: Roger Behrens stärkt Herbert Marcuse als Kulturkritiker  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Was ist subversiv an der Love-Parade? Das ist eigentlich keine Frage mehr. Es ist noch nicht lange her, da tummelten sich auf diesem Feld so einige Theoretiker der Sub- oder Popkultur. Erörtert wurde das Widerstandspotential der Technogeneration wie kurze Zeit zuvor das der HipHop-Fans. Das theoretische Rüstzeug dazu kam von der Kritischen Theorie, beispielsweise, von Foucault, Deleuze und zunehmend von den aus Großbritannien und den USA importierten Cultural Studies.

Mit dem Sammelband Main-stream der Minderheiten, herausgegeben von den Spex-Autoren Tom Holert und Mark Terkessidis, kam die Diskussion mehr und mehr an ihr Ende. Zu pessimistisch war der Befund der dort vertretenen Autoren und Autorinnen, zu sehr hatten sie sich die Thesen Horkheimers und Adornos zur alles vereinnahmenden Kulturindustrie zu eigen gemacht. Zu sehr war man davon überzeugt, die „Kontrollgesellschaft“, die Deleuze vor kurzem nur prognostiziert hatte, sei bereits Wirklichkeit. Und im Tanzen zu Techno und Anverwandtem sah man wenig mehr als die Zurichtung der Körper auf ein Fitnessideal. Vereinzelte Kritik an diesem Ansatz verhallte weitgehend ungehört.

Mit einem kleinen Buch Übersetzungen – Studien zu Herbert Marcuse gibt der Hamburger Mitherausgeber des Magazins testcard Roger Behrens jetzt der Diskussion neuen Stoff. Es ist hervorgegangen aus mehreren Radiosendungen über den marxistischen Theoretiker, die er für das Freie Sender Kombinat gemacht hat. Um den Karren der stecken gebliebenen Überlegungen zu Subversion und Pop aus dem Dreck zu ziehen, bietet sich Marcuse aus mehreren Gründen an. Erstens hat er, anders als andere, die der Kritischen Theorie zugerechnet werden, der Populärkultur immer ein subversives, ein utopisches Potential zugetraut, obwohl sie mehr als andere Kulturformen der Logik des Marktes unterworfen ist. Motiviert war das durch seine vor allem biographische Nähe zur Hippiebewegung, zu den Kämpfen der Studenten, der Frauen und der Schwarzen Ende der 60er Jahre in den USA.

Marcuse unterscheidet zweitens von den Protagonisten der Cultural Studies, dass er das Potential kultureller Interventionen nie überschätzt hat. Bedingung für die Einlösung der emanzipatorischen Versprechungen des Pop war für ihn immer ihr Widerhall in einer starken sozialen Bewegung, das Ziel letztlich die Freisetzung der Phantasie aus dem Reservat der Kultur.

Behrens versucht drittens – angesichts der zunehmenden Zersplitterung restlinker Teilbereichskämpfe heute – einen Theoretiker stark zu machen, der immer das gesellschaftliche Ganze, namentlich den Kapitalismus, im Blick hatte. Es ist allerdings genau diese Haltung gewesen, die Marcuse in eine immer größere Distanz zu den Bewegungen der Endsechziger gebracht hat. Als in Frankfurt Anfang 1969 knapp 80 Studenten auf der Suche nach einem Raum zum Diskutieren in das Institut für Sozialforschung eindrangen, ließ Adorno das Gebäude von der Polizei räumen. Er hatte eine Besetzung befürchtet. Marcuse missbilligte in einem Brief an Adorno zwar diese Anrufung der staatlichen Autorität, aber er teilte mit ihm die Ansicht, die Bewegung der Studenten erzeuge „nicht einmal eine vor-revolutionäre“ Situation.

Diesen Gestus der Theorie verdoppelt das Buch von Behrens in gewisser Weise: Theoretische Überlegungen anzustellen ist demnach nicht eine Widerstandspraxis unter vielen, sondern eine privilegierte, die andere Protestformen über ihr Betätigungsfeld und das Ziel ihres Widerstands belehrt. So moniert Behrens beispielsweise eine Überschätzung von Strategien des „kreativen Konsums“, die zu Widerstand stilisieren, bestimmte Produkte nicht zu kaufen oder zweckzuentfremden. Er ist sich sicher, dass dadurch „Kräfte von den derzeit ... notwendigen Fronten abgezogen“ würden, denen der antirassistischen und antifaschistischen Aktionen. Damit werden aber soziale Kämpfe oder Scharmützel unnötigerweise hierarchisiert, die sich nicht einmal gegenseitig ausschließen. Behrens müsste sich zumindest bemühen, genauer zu zeigen, warum die einen „notwendiger“ sein sollen als die anderen und emanzipatorischen Zielen näher rücken. Allenfalls Argumente könnten für die einen und gegen die anderen Kämpfe sprechen. Im Grunde aber ist das theoretisch gar nicht zu entscheiden, und so lugt hier hinter der Theorie die Moral hervor.

Einige der Überlegungen Marcuses sind sicher fruchtbar zu machen, will man angeblich rein politische Kämpfe und solche, die sich scheinbar nur auf kulturellem Gebiet äußern, nicht immer nur als Alternative denken. Dem Buch hätte es allerdings gut getan, wenn Behrens weniger versucht hätte, Marcuses gesamter Theorie eine zeitlose Wahrheit nachzuweisen. Trotzdem sei die Lektüre hier dringend anempfohlen, und zwar all denen, die die kulturpessimistischen Schreckensszenarien Houellebecqscher Prägung, die derzeit die linken Feuilletons zu einer Farce machen, nicht mehr ertragen können.

Roger Behrens: Übersetzungen – Studien zu Herbert Marcuse. Ventil Verlag, Mainz 2000

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