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Schatten auf Bushs Krönungsfeiern

Das weltweit ausgestrahlte Video eines Polizeiübergriffs in Philadelphia kommt den Republikanern gar nicht gelegen. Sie wollen in der Stadt ihren Präsidentschaftskandidaten küren und mit dessen „menschlichen Antlitz“ werben

aus Washington PETER TAUTFEST

„Der Washington Square hieß im 18. Jahrhundert auch Congo Square“, erzählt Chris stolz: „Hier kamen die Afrikaner zusammen, um sich in ihren Landessprachen zu unterhalten und ihre Tänze zu tanzen. Philadelphia hatte im 18. und 19. Jahrhundert Amerikas größte Bevölkerung freier schwarzer Bürger. Die Quäker, die Philadelphia gründeten, hatten sich schon 1688 gegen die Sklaverei ausgesprochen.“ Chris ist Historiker, arbeitet an seiner Dissertation und hilft in seiner Freizeit als Führer auf der Trolleybus Tour durch Philadelphias historische Stadtteile aus.

Zu dieser historischen Tradition passt der hässliche Vorfall schlecht, der seit Tagen Gegenstand von Berichterstattung, Diskussion und Spekulation in den amerikanischen Medien ist. Am vorigen Mittwoch endete eine Verfolgungsjagd in Philadelphia mit einer für Amerikas Polizei schon typischen Szene. Ein Dutzend Polizisten zerrten den zwei Meter großen Thomas Jones aus seinem Auto, umringten und mishandelten ihn mit Fausthieben und Fußtritten. Ein Kamerateam, das aus einem Hubschrauber einen Hausbrand filmen wollte, hielt die Szene fest.

Der inzwischen weltweit ausgestrahlte 28-Sekunden-Videoclip hat fatale Ähnlichkeiten mit dem, der 1991 in Los Angeles von der Festnahme Rodney Kings gemacht wurde. So unterschiedlich die Situationen waren – anders als Rodney King hatte Thomas Jones einer alten Dame ein Auto gewaltsam geraubt und sich mit der verfolgenden Polizei ein Feuergefecht geliefert – rührte die Szene an einen inzwischen in Amerika bloßgelegten Nerv. Nach den Fällen in New York und Los Angeles dokumentierten die Aufnahmen wieder mal eine wild gewordene Polizei, die am helllichten Tag auf belebten Straßen um sich ballern und Festgenommene vor allem dann wüst misshandeln, wenn sie schwarz oder Latinos sind.

Insgesamt fünf Ermittlungen werden in diesem Fall angestrengt, eine davon durch das FBI. Washington Post und New York Times berichten seit dem Ereignis jeden Tag über die Auswirkungen des Vorfalls und über den Schatten, der jetzt auf den Glanz eines Parteitags fallen könnte, der Ende des Monats George Bush als „Neuen Republikaner“ mit menschlichem Antlitz zum Präsidentschaftskandidat krönen sollte. Philadelphia ist dieser Tage nicht irgendeine Stadt, sondern eine, die im Rampenlicht nationaler und internationaler Aufmerksamkeit steht.

„Philadelphia ist heute eine völlig neue Stadt,“ versichert Sue Schwenderman vom Gastgeberkomitee für den Republikanischen Parteitag, der am 31. Juli beginnt. 2 Millionen Dollar hat die Stadt lockergemacht – zusätzlich zu den 40 Millionen, die das Gastgeberkomitee bei Firmen und Konzernen gesammelt hat. Die Innenstadt sieht in der Tat – nach amerikanischen Maßstäben – bemerkenswert urban aus. Die alten Gebäude, in denen damals die Revolution geplant, die Unabhängigkeit des Landes ausgerufen sowie deren Verfassung ausgearbeitet wurde, prangen in alter Schönheit und die daran angrenzenden Viertel sind restauriert worden.

Um in die Innenstadt zu gelangen, fährt man allerdings durch ausgedehntes städtisches Ödland, durch eine Wüstenei aus verfallenden Häusern, in denen Armut und Hoffnungslosigkeit herrschen. „Es ist die klassische „Tale of Two Cities“, sagt Cheri Honkala von der Kensington Welfare Rights Gruppe in Anspielung auf den Roman von Dickens, „die Geschichte des reichen und wohlhabenden Philadelphias, in das alle Investitionen zur Stadterneuerung fließen, und einer ausgedehnten Stadt niedriger Katen, aus schlechtem Material, in der es weder Dienstleistungen noch Geschäfte gibt.“

Cheri gehört zu einer Koalition von Bürgerinitiativen, die aus Anlass des Republikanischen Parteitags, der 45.000 Menschen nach Philadelphia bringen wird, auf die wirklichen Probleme aufmerksam machen will. „In weiten Teilen der Stadt stehen die Häuser seit 25 Jahren leer, weil ihre Besitzer sie nicht reparieren“, sagt Alfred Griffin, ein schwarzer Quäker, der mit einem Kredit seiner Kirche außerhalb der Stadt Gemüse anbaut und Arbeitslose beschäftigt, um damit die Suppenküchen zu beliefern, die trotz Wohlstand heute mehr Menschen versorgen müssen als vor fünf Jahren. „In den verfallenden Stadtteilen leben circa 15.000 Obdachlose.“

Die Koalition der Gruppen, die in Philadelphia in der Tradition Seattles gegen Globalisierung, Arbeitsplatzverlust und Rassismus demonstrieren wollen, macht sich Sorgen, dass der jüngste Gewaltexzess ein böses Omen für die während des Parteitags geplanten Kundgebungen ist. Ihre Demonstration am Tag der Eröffnung des Parteitags ist bereits verboten worden.

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