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Aufbäumen nach asiatischer Art

aus Naha auf Okinawa GEORG BLUME

Kap Busena ist ein einsamer Küstenort, umspült von den tief blauen Wellen des Pazifik. Hier steht ein Luxus-Hotel, das Gästen ruhige Tage abseits des Touristenrummels auf Japans südlichster Insel Okinawa bietet. Die Regierungschefs der sieben reichsten Länder und Russlands (G 8) werden hier das kommende Wochenende beim Weltwirtschaftsgipfel ausspannen können. Dramatische Sitzungen stehen nicht bevor. Doch rundherum wird Unruhe herrschen.

Okinawa, zu Normalzeiten ein tropisches Ferienparadies, wird zu Gipfelzeiten einmal mehr seinem Ruf gerecht, Japans widerspenstigste Provinz zu sein. Schon gestern versammelten sich Gewerkschaftsmitglieder vor dem Rathaus der Inselhauptstadt Naha, um lautstark gegen die Ankunft der Regierungsoberhäupter zu demonstrieren. Gleichzeitig tagte ein „Gegengipfel“ der ärmsten Länder im Rahmen der Schuldenerlasskampagne „Jubilee 2000“. Als Veranstaltungsort hatten sich die G-8-Kritiker den großen Theatersaal in Nahas meistbesuchtem Einkaufszentrum ausgesucht, gleich neben den Restaurants „Roma“ und „Al dente“.

„Ein Vulkan voll heißem Magma“

Gewerkschafter und Dritte-Welt-Freunde werden sich heute die Hand reichen, wenn zahlreiche Bürger- und Friedensgruppen auf der Insel zur zentralen Aktion gegen den Gipfel aufrufen: einer Menschenkette rund um die US-Militärbasis nördlich von Naha. Denn natürlich kommt kein Protest auf Okinawa, sei er diesmal auch noch so weit gesteckten Zielen verpflichtet, ohne den alten, lokalen Anlass aus: „Insel der Basen“ wird Okinawa in Japan genannt.

Hier liegt auch der tiefere Grund für ein Wochenende Weltpolitik am Palmenstrand: Die Präsenz der großen acht soll der Inselbevölkerung von 1,3 Millionen klarmachen, wie dankbar ihnen die westliche Welt ist, dass Okinawa seit über 50 Jahren die größte US-Militärbasis im Ausland beheimatet. Das Problem ist nur: Okinawa will den Dank nicht annehmen. Gerade hat man wieder einen US-Soldaten erwischt, wie er dabei war, ein 14-jähriges Mädchen zu vergewaltigen. 5.000 Gesetzesübertretungen von US-Marines – darunter hunderte von Vergewaltigungen – zählen die Inselbewohner bis heute. Das reicht den meisten. Zumal die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, als auf Okinawa der blutigste aller Kämpfe zwischen Japanern und Amerikanern stattfand, bis heute überdauert. Annähernd 200.000 Menschen hat das damalige Gefecht das Leben gekostet.

„Okinawa ist wie ein Vulkan voll heißem Magma, das jederzeit aus allen Löchern fliegen kann“, warnt Keiichi Inamine, der Inselgouverneur. Mit Inamine regiert zwar erstmals seit langem wieder ein konservativer Liberaldemokrat die Insel. Doch gerade er muss auf die Aversionen seiner Wahlbürger gegen die Militärbasen Rücksicht nehmen. Sein Protest erreichte bereits Ungewohntes: Erstmals kritisierte die Regierung in Tokio in einer offiziellen Note das Verhalten der US-Soldaten auf Okinawa – wohl auch aus Angst um den öffentlichen Frieden während des Gipfels. Washington verhängte daraufhin eine nächtliche Ausgangs- und Alkoholsperre für alle 27.000 auf der Insel stationierten US-Soldaten, die bis zum nächsten Mittwoch währt, wenn alle Gipfelgäste wieder abgereist sind.

Bis dahin aber will Okinawa in der Weltpolitik mitmischen. Der Widerstandsgeist vor Ort bietet dabei alten und neuen Protestbewegungen in Japan eine Chance, ihre Anliegen vor breitem Publikum darzustellen. Japanische Frauengruppen organisierten vor kurzem einen internationalen „Frauengipfel“ auf Okinawa. Dem folgte am vergangenen Wochenende in Naha ein Forum von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) über die Folgen globaler Umweltzerstörung, derweil das „Bürgerforum 2001“ in ganz Japan zu Veranstaltungen lud, auf denen Kritik am Welthandelssystem geübt wurde.

Das Ergebnis der zahlreiche Aktivitäten lässt aufhorchen: Es gibt in Japan weit mehr Stimmen als bisher angenommen, die sich kritisch mit den Folgen der Globalisierung auseinander setzen. Zu ihnen zählen Politveteranen wie der 69-jährige Ichio Muto, die ihre intellektuelle Autorität im Kreis der Aktiven nicht verloren haben: „Okinawa folgt auf Seattle“, sagt der alte Quergeist, der schon gegen den Vietnamkrieg opponierte. „In Seattle wurde die Kritik am amerikanischen Wirtschaftsmonopol deutlich. Okinawa steht für die Kritik an der amerikanischen Militärstrategie.“

Die derzeit in Japan verbreitetere Kritik aber ist bei jungen NGO-Gruppen wie dem „Bürgerforum 2001“ zu Hause. Tomoko Sakuma, Geschäftsführerin des Forums, hat beim Globalisierungsprotest in Seattle aufgetankt. Damals war noch alles neu für die ehemalige Übersetzerin. Jetzt aber spricht die 36-Jährige von der „Globalisierungsfalle“ und der unkontrollierten Macht der Multis, als bräuchte ihr japanisches Publikum in einem alten Gemeindesaal von Nagoya, Japans drittgrößter Stadt, nur die Hand zu heben, um der Welt einen neuen Weg zu weisen.

In Asien passt man sich eher an

Auf ihre direkte Art wirkt Sakuma unprätentiös und harmlos. Das kommt bei ihrem unpolitischen Publikum an. „Wer wie die alten Bewegungen zu politisch agiert, hat es in Japan nicht leicht“, erklärt Sakuma. „Die kaputten Fensterscheiben von Seattle machten in Japan keinen guten Eindruck.“

Politische Grenzen werden beim Bürgerforum nicht klar gezogen. Gäste aus Malaysia erzählen in Nagoya vom Raubbau am Regenwald. Die Vorsitzende der Verbraucherkooperative Nagoyas berichtet von dem Versuch ihrer Organisation, gegen den Import genmanipulierter Lebensmittel zu protestieren. Der Vertreter einer Solarenergiefirma spricht vom ökologischen Wohnungsbau. Alles muss irgendwie zusammenpassen. Denn Tomoko Sakuma hat ein Ziel: „Westliche NGOs sind in der Tat sehr politisch. Aber ihre Denkweise basiert auf einem absoluten Individualismus, der sich immer behaupten und durchsetzen muss. In vielen asiatischen Ländern einschließlich Japan gibt es diesen Individualismus nicht. Man passt sich eher an. In Asien haben sich die Menschen zum Beispiel traditionell viel mehr der Natur angepasst als im Westen. Aber die NGOs aus den USA oder Europa wollen immer gleich ein Verbesserungsszenario für die ganze Welt schreiben, ohne uns zu fragen.“ Sakuma sucht deshalb nach einem „asiatischen Weg“, ihr Unbehagen zu äußern.

Auf dieser Suche findet sie unverhoffte Verbündete. Eisuke Sakakibara zum Beispiel, der ehemalige Vizefinanzminister Japans, den die Welt in den Neunzigerjahren „Mister Yen“ nannte, weil er fast im Alleingang über die japanische Währungspolitik entschied, zählt dieser Tage zu den wortgewaltigsten Gegnern des US-amerikanischen Finanzliberalismus in Japan. Mister Yen kandidierte noch im Frühjahr gegen den deutschen Kandidaten Caio Koch-Weser um die Präsidentschaft des Internationalen Währungsfonds (IWF) – nicht zuletzt wegen seines Vorschlags, einen asiatischen Währungsfonds (AMF) einzurichten, der sich gegen die Washingtoner Entscheidungshoheit bei der internationalen Kreditvergabe für Krisenländer richtete.

Gegen den „Globalstandard“

Zum Gipfel in Okinawa empfiehlt Sakakibara nun seine Vision einer „Netzwerk-Globalisierung“, womit er eine zweite, nicht mehr vom Westen kontrollierte Globalisierungsphase meint, in der es wieder möglich wäre, dass sich lokale Kulturen gegenüber dem „Globalstandard“ behaupten.

Mister Yen hat unter den Globalisierungskritikern aus der NGO-Bewegung in Japan viel Verwirrung gestiftet. Die einen haben ihn prompt zu den Gegenveranstaltungen zum Gipfel eingeladen. Die anderen warnen vor Sakakibaras angeblichem Nationalismus.

„Nur wenige in Japan haben bisher erkannt, dass die Globalisierung ein Prozess ist, in dem die Nation zerbrechen kann“, beobachtet Ichio Muto und warnt gerade deshalb vor dem Aufbäumen nationalistischer Kräfte in Japan. Aus seiner Sicht lauern hier viele falsche Verbündete, die sich die Kritik der NGOs einverleiben wollen.

Kinhide Mushakoji, Spross einer berühmten Adelsfamilie und inzwischen ergrauter Stratege der japanischen Dritte-Welt-Bewegung, teilt jedoch diese Sorgen nicht. „Wir müssen gemeinsam mit Sakakibara einen historischen Block gegen die Kräfte des Neoliberalismus bilden“, schlägt der Professor vor. Für Mushakoji ist Okinawa, das bis heute seine eigene Ureinwohnerkultur pflegt, ein idealer Ort, um sich gegen den „Globalstandard“ zu wehren. Nirgendwo stünden sich aus seiner Sicht Asien und die USA so unversöhnlich gegenüber. Die Feriengäste am Kap Busena werden davon freilich nichts merken.

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