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Weiße Flecken hinter der Leinwand

China goes Kunstmarkt: Ausstellungen in Weimar und Berlin zeigen, dass die neue künstlerische Vielfalt aus Asien auf lokale Unterschiede zurückgeht

Atelierfrische Kunst will schließlich auch kommerzielle Aufmerksamkeit

von STEPHANIE TASCH

In der Volksrepublik China finden sich durchreisende Besucher von den Gastgebern gern als „unsere ausländischen Freunde“ tituliert; ein Sprachgebrauch, den sich die ACC Galerie und neudeli, die Galerie der Bauhaus-Universität, zu Eigen machten, als sie „Our Chinese Friends“ zu einer Doppelausstellung nach Weimar einluden. Zu sehen sind sechzehn neu gewonnene Freunde, künstlerische Positionen zwischen Malerei und Performance und ein erfreulich hoher Anteil von Arbeiten, die noch nie im Ausland gezeigt wurden. David Mannstein, Koordinator der Galerie der Bauhaus-Universität, und Frank Motz von der ACC Galerie übersetzten ihre eigene Neugierde in ein Projekt, das zu seiner Verwirklichung einiger Unterstützung von außen bedurfte.

„Our Chinese Friends“ könnte mit gleichem Recht auch „our foreign friends“ heißen, denn für nicht spezialisierte westliche Kuratoren ist es immer noch mit erheblichen Schwierigkeiten (Entfernung, Sprachbarrieren, Bürokratie, Unkenntnis) verbunden, in China Ausstellungen zusammenzustellen. Die Wege sind zwar kürzer und die Kontakte einfacher geworden, trotzdem sind Vermittler gefragt, die auch für kurz entschlossene Freunde der chinesischen Kunst Hilfestellung leisten können. In Weimar war es der Luzerner Galerist Urs Meile. Die meisten Künstler, daraus wird kein Geheimnis gemacht, werden von Meile vertreten; die Ausstellung ist nach der Weimarer Station in der Schweiz zu sehen – atelierfrische Kunst will schließlich auch kommerzielle Aufmerksamkeit (zwei Künstlerinnen, Yin Xiuzhen und Zhang Xin, wurden durch die Berliner Galerie Asian Fine Arts/Pruess & Ochs vermittelt).

Nun lässt sich die Verquickung Kunst – besonders die vom Hauch der Dissidenz umwehte – und Kommerz natürlich kritisieren. Dass andererseits auch die restliche internationale Gegenwartskunst nicht in einem von Marktinteressen freien Raum existiert, lässt die Frage zu, ob das sentimentale Klischee vom unverstandenen, aber heroisch vor sich hin hungernden Künstler im Zusammenhang mit der „exotischen“ Kunst des Schwellenlandes China seine letzten Zuckungen erlebt.

Zeitgenössische Kunst aus China ist spätestens seit der Biennale letztes Jahr in Venedig international mehrheitsfähig. Harald Szeemann schrieb mit seiner Auswahl der Teilnehmer einen Kanon fest, der sich in verschiedenen Gruppenausstellungen seit Beginn der Neunzigerjahre gebildet hatte. Ein Aspekt der Faszination bei der Entdeckung und Popularisierung des bisher weißen Fleckens auf der Landkarte des internationalen, noch nicht ganz globalisierten Kunstbetriebs ist fraglos die Tatsache, dass man im Fall chinesischer Avantgarde zugucken kann, wie ein Kapitel Kunstgeschichte geschrieben wird. Mit allen Konsequenzen – Kataloge über chinesische Kunst im Westen dokumentieren im gleichen Maße die Kunstwerke wie ihre Rezeptionsgeschichte.

Selbstverständlich wird ausgewählt, und zwar (jedenfalls in Deutschland) meist von westlichen Kuratoren. Die spezifische Auswahl schließt die Bestätigung eigener Vorurteile ein und wurde, zumindest zu Beginn, von relativ schlichten, etwa geografischen Koordinaten mitbestimmt. Die Tatsache, dass die Hauptstadt Peking zuerst als Ort aktueller Kunst entdeckt wurde, hat sicher dazu beigetragen, dass die Künstlergruppen der späten Achtziger, die „politische Pop-Art“ oder „zynischen Realismus“ vertraten (Stilbegriffe, die der Pekinger Kunsttheroetiker und –kritiker Li Xianting prägte), zum Synonym für chinesische Gegenwartskunst wurden.

In Weimar bleibt man beim Konzept der Gruppenausstellung, deren bindendes Kriterium die chinesische Staatsangehörigkeit ist und die divergente künstlerische Positionen mit dem Anspruch einer aktuellen Standortbestimmung der Vielfalt künstlerischer Arbeit in der Volksrepublik China zeigt. Die Auswahl ist eindeutig an der Venedig-Biennale orientiert, weicht aber geografisch wie medial oder geschlechtsspezifisch hier und da vom Stereotyp des chinesischen Künstlers als „Maler, männlich und aus Peking“ ab. So vertreten Arbeiten von Chen Shaoxiong und Xu Tan, zwei Mitgliedern der „Big Tail Elephant Group“ aus Kanton, einer 1991 gegründeten Gruppe, die 1998 in der Kunsthalle Bern ihren ersten Auftritt im Westen hatte, die chinesische Konzeptkunst.

Präsentiert wird die Ausstellung an zwei Orten: in der ACC Galerie gegenüber dem Stadtschloss und in der Hauptpost, in der die Galerie der Bauhaus-Universität Räume angemietet hat. Aus der räumlichen Situation ergeben sich schöne Konfrontationen von Mensch und Kunst, wenn man etwa in den winzigen Kabinetten der ACC Galerie einem großformatigen Bild von Yue Minjun gegenübersteht. Zugleich besteht in Weimar die Chance, extreme Formate und Skulpturen zu zeigen.

Der Katalog ist – sympathische Ausnahme – ausgesprochen handlich, bildet die Arbeiten durchgehend farbig ab und liefert ausführliche Künstlerbiografien. Mit Ausnahme der Überlegungen von Karl Schawelka zur „Angst vor dem Ethnozentrismus“ bereichern die Texte die deutschsprachige Literatur zum Thema allerdings nicht.

Genau umgekehrt verhielt es sich mit der im Juli zu Ende gegangenen Ausstellung „Peking/Shanghai/Shenzhen. Städte des 21. Jahrhunderts“ im Bauhaus Dessau, die man sich räumlich und in der Zahl der Exponate gerne etwas weniger beschränkt vorgestellt hätte, die aber einen Textband zurückgelassen hat, der eine Anthologie zum Thema Städtebau in der Volksrepubik China bietet. In der medialen und disziplinären Mischung durchaus Projekten wie der 1997er-Biennale von Kwangju oder der Wanderausstellung „Cities on the Move“ verwandt, kommen Autoren, von Paul Andreu, dem Architekten des zukünftigen Nationaltheaters in Peking, bis zum Erzähler Zhou Jieru („Herr Lin und sein Haus“, mit Fotografien von Li Yuxiang) zu Wort, die aus der Perspektive von Architekten, Stadtplanern, bildenden Künstlern, Reportagefotografen und Historikern die rasanten Veränderungen des urbanen Raumes am Beispiel der drei chinesischen Ballungszentren umkreisen. Wer sich über die thematische Koinzidenz in den beiden Bauhaus-Städten ohnehin gefreut hatte, findet im Beitrag von Wu Jiang über Bauhaus-Prinzipien in der Architektur Shanghais eine unerwartete Fortschreibung von Gropius’ Lehre in China.

Dass der Austausch zwischen den Metropolen, dem in den Siebzigerjahren die historischen Ausstellungen „Paris/Moskau“ oder „Moskau/Berlin“ nachgingen, in Zeiten einer erweiterten Internationalisierung auch „Berlin/Hongkong“ heißen kann, wird seit letztem Wochenende im Haus der Kulturen der Welt in Berlin vorgeführt. Parallel zum großen Projekt bietet das Berliner Künstlerhaus Bethanien mit bescheidensten Mitteln „If I had a dream . . .“, kuratiert von Kam Ping Hiller. Vier Künstler in einem Raum: der Hongkonger Fotograf So Hing Keung, der taiwanische Videokünstler Yung Goang Ming, Kum Chi Keung, ebenfalls aus Hongkong, und der Kantonese Lin Yilin, ein weiteres Mitglied der „Big Tail Elephant Group“. Nach der intensiven Buntheit und Malereilastigkeit in Weimar herrschen hier betonte Kargheit und Monochromie. Die Abweichung vom selektiven Kanon ist offensichtlich – was „chinesische Kunst“ ist, erweist sich einmal mehr als eine Frage der Zuschreibung.

In der Kunsttheorie der Volksrepublik gibt es schon seit Jahren eine Debatte zum spezifischen Nationalcharakter und zur Identität der chinesischen Gegenwartskunst. Die im Westen gezeigten Ausstellungen verengen oder erweitern das Spektrum geografisch (und damit auch politisch) immer abwechselnd von Kunst, die auf dem chinesischen Festland entsteht, über solche von Hongkongern und Taiwanern bis zu den Emigranten oder sogar den im Ausland geborenen „Überseechinesen“. „Our Chinese Friends“ erweisen sich zunehmend als Gruppe von immer weniger mit simplen landsmannschaftlichen Zuordnungen fassbaren Individuen. In China ist eben seit Jahren nicht nur der einheitliche Mao-Anzug verschwunden . . .

„Our Chinese Friends/Women de zhong guo de peng you. 100 Positionen zeitgenössischer Kunst aus China“, bis 27. 8., ACC Galerie Weimar und neudeli – Galerie der Bauhaus-Universität Weimar, Katalog: 38 DM„If I had a dream . . ., Four Chinese Artists in Berlin“, bis 12. 8., Künstlerhaus Bethanien, Berlin; Begleitheft 3 DMKai Vöckler und Dirk Luckow (Hrsg.), „Peking/Shanghai/Shenzhen. Städte des 21. Jahrhunderts“, deutsch/englisch, Frankfurt/New York 2000, 98 DM

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