Massentaugliche Stolpersteine

Lokalgrößen und Euroimporte, umsonst und draußen: Auf dem Rathausmarkt beginnt heute das dreizehnte „Rockspektakel“ – so denn das Wetter mitspielt  ■ Von Alexander Diehl

„Alles fing“, so erinnern sich die Organisatoren (www.rockspektakel.de), „mit der Staatsoper“ an. Die, Stellvertreterin des Hochkulturbetriebes, bekomme „unglaublichviel Geld“ seitens der Stadt. Aktivisten von weniger (bis gar nicht) bedachten, populäreren Genres sahen sich herausgefordert, der Schieflage zwischen so genannter E- und U-Musik zu begegnen, und mit Hilfe eines „versteckten Haushaltstitels“ kam man 1997 an die finanziellen Mittel, eine Woche lang dem eigenen Tun eine Plattform zu schaffen. Daraus hervor gingen die „Nacht der Clubs“ (dieses Jahr am 8. September) und das Abschlussfestival „Rathaus Rock“.

Das heißt seit 1990 „Rockspektakel“, und das Geld für seine Durchführung kommt nicht mehr aus der Stadtkasse, sondern von Sponsoren (gern Zigaretten- oder Biermarken). Geblieben ist, und das mag verwundern angesichts der allgemeinen Tendenz zur Reglementierung und Privatisierung des öffentlichen Raums, der Ort des Geschehens, der Rathausmarkt. Denn immerhin als „Stolperstein zwischen Cyclassics, Stuttgarter Weindorf und Alstervergnügen“ sehen die Veranstalter ihr Spektakel im allgemeinen Eventreigen. Der widerspenstige Charakter wäre allerdings erstmal nachzuweisen. Denn das Programm des kommenden Wochenendes ginge ebenso im Rahmen etwa des Hafengeburtstages durch, es ist massentauglich mit allenfalls vereinzelten Anlässen zum Stolpern.

Lokal hinlänglich bekanntes Rockhandwerk, der eine oder andere Nachwuchs-Act, die obligaten Schlagerrebellen und ein paar Gäs-te aus dem europäischen Ausland werden von heute bis zum Sonntag Abend zu erleben sein. Den heutigen Abend – unter dem Motto „Ladies Night + Quoten-Jungs“ – eröffnen Wunder aus Hamburg (nicht Köln). Deren weiterhin ausbleibender Erfolg ist, äh, verwunderlich, angesichts dessen, was so alles Erfolg hat – an Ambition lassen es die studierten Popularmusiker mit ihrem radiotauglichen Alternative-Pop jedenfalls nicht fehlen (wenngleich gelegentlich an Ideen). Ähnlich umtriebig: Uh Baby Uh, einstige John-Lennon-Förderpreis-Finalteilnehmer um die „abtrünnige ägyptische Prinzessin“ (Allegra) Catharina Boutari am späteren Abend. In der Zwischenzeit spielen Kind of Blue („sanfte Rock-Romantik“ aus Hamburg) und Kashmir („Kult-Metal aus Dänemark“). Interessant dürfte werden, wie die Lemonbabies, in der Vergangenheit gelegentlich als große all-girl-Inlandshoffnung gehandelt, ihren „Spaß an der Freude, die Pop heißt“ zu vorgerückter Stunde einem Umsonst-und-draußen-Publikum in Wochenendlaune nahezubringen versuchen. „Ausziehen!“-Rufer erhalten bitte Platzverweise.

Der Sonnabend („A Walk on the Wild Side“ überschrieben) bietet „modern crossover“ (Dodge) und ebensolchem „Power-Pop, der groovt“ (Naive), nicht zu vergessen Der Fall Böse mit seinem Krimi-Lounge-Jazz. Dann zeigt sich, was in so einem Rahmen unter wild verstanden wird: Die krachledern-witzigen „Grand Prix“-Teilnehmer Goldrausch und Knorkator bringen endlich einmal Spaß in die steife Hansestadt, unterstützt von den Geistesverwandten Spaßvögeln von Roh. Die Schlusslichter Waltari waren immerhin mal eine der erfolgreichsten finnischen Bands im europäischen Ausland, aber da war Crossover auch noch heißer Scheiß und die Band mit ihrem technisch anspruchsvollen Core quer durch die Genres auf der Höhe der Zeit. Trotzdem überraschend, sie in diesem Rahmen zu finden.

Am Sonntag wird es dann laut Motto ausdrücklich „International“. Nach einem musikalischen Brunch („wunderschöne Popsongs in guter Hamburger Tradition“) spielen Gator Club ihren „Sound aus den Sümpfen ... nicht nur für Reptilien“, Tallian Gray schlichtweg modernen Rock und die Nachwuchswettbewerb-Sieger My Balloon (Berlin) „kompakte Gitarrenpopsongs“. Mit Madrugada steht dann der norwegische Exportschlager des vergangenen Jahres auf dem Programm: leicht düsterer Melodic-Rock mit Chartsnotierung. Ezio („italienisches Songwriting“) und die „neue britische Pop-Sensation“ Reef beschließen das lange RockPop-Wochenende.

Abzuwarten bleibt freilich, ob die hanseatische Witterung dem Ganzen hold ist.

heute, ab 18 Uhr: Wunder, Kind of Blue, Kashmir, Uh Baby Uh, Lemonbabies; morgen, ab 10 Uhr: The Archers, Dodge, Der Fall Böse, Naive, Goldrausch, Roh, Knorkator, Waltari; Sonntag, ab 12 Uhr: Brunch, Gator Club, Tallian Gray, My Balloon, Madrugada, Ezio, Reef; Rathausmarkt