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Irans Reformer warnen ihre Gegner

Machtkampf zwischen Reformern und Konservativen: In einem offenen Brief an die Nation greifen reformorientierte Parlamentarier die „reaktionären Kräfte“ scharf an. Gleichzeitig wurden erneut zwei prominente Journalisten verhaftet

von CHRISTOPH DREYER

Die Auseinandersetzung zwischen Konservativen und Reformern im Iran nimmt an Schärfe zu. Mehr als die Hälfte der iranischen Parlamentsabgeordneten hat sich am Sonntag in einem offenen Brief an die Nation gewandt. Darin fordern die Parlamentarier die „reaktionären und opportunistischen Kräfte“ auf, sie sollten ihre Versuche aufgeben, „die Nation den Glauben an die Reformen verlieren zu lassen“. Zugleich warnen sie, das System der Islamischen Republik insgesamt sei gefährdet, falls die Reformbewegung scheitere.

Gleichzeitig wurden am Wochenende erneut zwei liberale Journalisten festgenommen, die für mittlerweile verbotene Zeitungen tätig gewesen sind. Ebrahim Nabawi, der durch seine bissigen Kolumnen und Angriffe auf das konservative Establishment bekannt geworden ist, wurde am Samstag verhaftet, während ihn zeitgleich der iranische Presseverband zum besten Satiriker des Landes kürte. Am Sonntag wurde Mohammad Ghoodschani inhaftiert, der am Vortag eine Auszeichnung als bester politischer Berichterstatter erhalten hatte.

Mit den jüngsten Festnahmen wurden im Iran allein in den letzten zehn Tagen fünf Journalisten festgenommen. Im gleichen Zeitraum wurden das Satieremagazit Tavana und die Tageszeitung Bahar verboten, womit die Zahl der verbotenen reformorientierten Zeitungen seit April auf über 20 gestiegen ist.

Erst am Sonntag vergangener Woche hatte das iranische Parlament auf Geheiß des als konservativ geltenden geistlichen Führers des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, die mit Spannung erwartete Abstimmung über ein neues Pressegesetz kurzfristig von der Tagesordnung abgesetzt. Das Gesetz hatte als eines der wichtigsten Vorhaben der iranischen Reformbewegung um Präsident Mohammad Chatami gegolten, die in den Parlamentswahlen im Mai eine überwältigende Mehrheit errungen hatte.

Mit den jüngsten Ereignissen ist der Kampf um die Pressefreiheit einmal mehr zum zentralen Schauplatz eines kaum verhüllten Machtkampfs zwischen Konservativen und Reformern im Iran geworden. Da Justiz und Sicherheitskräfte von konservativen Kräften dominiert sind, ist die kritische Presse, die sich seit der Wahl Chatamis zum Präsidenten 1997 entfaltet hatte, das wichtigste Instrument der Reformer in der Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in der Islamischen Republik.

Mit der direkten Einmischung des geistlichen Führers Chamenei in die parlamentarische Arbeit hat diese Auseinandersetzung nach Einschätzung vieler Beobachter eine neue Dimension bekommen. Manche verstehen den Schritt als Zeichen der Panik einer konservativen Strömung, die immer mehr erkennen muss, wie sehr sie die Hegemonie über die öffentliche Meinung bereits verloren hat.

Die Parlamentarier, die nun mit ihrem Brief an die Öffentlichkeit gegangen sind, bewegen sich mit diesem Schritt auf schmalem Grat, denn öffentliche Kritik am geistlichen Führer der Republik ist im Iran tabu. Und auch wenn sie ihn nicht direkt erwähnen, ist doch klar, an wen sich ihre Vorwürfe wenden. Dass die Reformer sich dennoch so deutlich äußern, könnte einen einfachen Grund haben: Ihnen bleibt keine andere Wahl. Denn ohne die reformfreundliche Presse fehlt ihnen die Möglichkeit, ihre Ideen zu verbreiten.

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