: Heiße Wurst
Nie mehr mit „Ratte“ oder „Fick“ unterschreiben müssen: Namensänderungen sind gar nicht so schwer ■ Von Heike Dierbach
Die Schulzeit muss für diese 69 HamburgerInnen die Hölle gewesen sein. Zeugnisausgabe, Bundes-Jugend-Spiele, jede Gelegenheit, bei der Namen aufgerufen werden – ein Albtraum. Immer, wenn die Liste bei F ankommt, fängt die Klasse an zu kichern. Die Jungs grunzen obszön. Aber: Das übt ja auch, selbstbewusst zu sein. Offensichtlich. Denn die 69 tragen ihren Nachnamen heute noch und haben sich sogar damit im Telefonbuch eintragen lassen: Fick.
Dabei hätten sie in Hamburg die besten Chancen, eine Namensänderung genehmigt zu bekommen. Das Einwohner-Zentralamt nennt „Fick“ und „Mehlsack“ als Beispiele für „Familiennamen, die anstößig oder lächerlich klingen oder Anlass zu frivolen Wortspielereien geben könnten“. Und deshalb abgelegt werden dürfen.
Aber so einfach wie die Ficks haben es nicht alle. Wer seinen Vor- oder Nachnamen ändern will, muss „wichtige Gründe“ geltend machen. Nach dem Gesetz (aus dem Jahr 1938) reicht es nicht, „dass dem Namensträger der bestehende Name nicht gefällt, oder dass ein anderer Name klangvoller wäre“. Immerhin gebe es ein öffentliches Interesse an der Beibehaltung, und Namen erfüllten auch eine „soziale Ordnungsfunktion“.
Am Anfang steht immer der Antrag. In ihm muss der Namensmüde schriftlich begründen, warum er nicht mehr Pickel (10 mal in Hamburg), Dumm (3 mal), Ratte (4 mal), Rechter (16 mal) oder Klau (3 mal) heißen möchte. Oder auch Meier, Müller oder Schmidt: Denn ein weiterer anerkannt „wichtiger Grund“ für eine Änderung ist, wenn Namen „so oft vorkommen, dass sie generell an Unterscheidungskraft eingebüßt haben“. Auch Herr Krawckszymiihdy und Familie Weinaschaffenbergerich-Hammelisweber haben Chancen: Namen, die sehr kompliziert oder sehr lang sind, dürfen abgelegt werden. EinE eingebürgertE AusländerIn kann einen deutschen Namen annehmen, wenn sie „im Interesse der weiteren Eingliederung Wert auf einen unauffälligen Namen legt“: Aus Öztürk wird Schröder.
Und schließlich darf aus psychischen Gründen der „ererbte Name des Vaters“ abgelegt werden, beispielsweise, weil das Kind von diesem sexuell missbraucht wurde. Kinder aus einer geschiedenen Ehe können einen neuen Familiennamen bekommen, wenn sie zusammen mit dem sorgeberechtigten Elternteil in einer neuen Familie leben – auch gegen den Willen des anderen leiblichen Elternteils.
Zum Antrag gehört auch ein polizeiliches Führungszeugnis, das Einwohnerzentralamt fragt zudem routinemäßig bei der Schuldnerkartei des Hamburger Amtsgerichtes nach. Nicht, dass Herr Drach plötzlich Müller heißt. Außerdem muss jeder Namenswechsler natürlich angeben, wie er künftig heißen möchte. Der neue Name muss keine Ähnlichkeit mit dem alten haben, erläutert Norbert Smekal, Sprecher des Einwohner-Zentralamtes. Wie wäre es also mit „Gottschalk“ statt „Müller“? Vorausgesetzt, man heißt mit Vornamen Thomas. Oder „Bismarck“? Das macht Eindruck auf der Visitenkarte. Smekal winkt ab: Dass man sich einfach einen prominenten Namen aussuche, gehe nicht: „Das muss schon plausibel sein.“
Rund 700 Anträge gingen 1999 bei dem einzigen Sachbearbeiter für Namensänderungen in Hamburg ein. Etwa die Hälfte wurde abgelehnt. Viele davon, sagt Smekal, waren allerdings ohnehin offensichtlich absurd oder „aus Geltungssucht heraus“ begründet. Eine Namensänderung kostet in Hamburg zwischen 150 und 500 Mark und dauert sechs bis acht Wochen.
Einen „wichtigen“ Grund für eine Änderung führt das Gesetz nicht auf: Was ist, wenn ein Name politisch oder geschichtlich negativ belastet oder umstritten ist? Wer will schon Judas (ein Mal in Hamburg) heißen? Oder Schill (40 mal)? Monika Lewinski (ein mal)? Helmut Kohl (ein mal)? Hans Albers (65 mal)? „Eindeutig belastete Namen können abgelegt werden“, beruhigt Smekal. Von der Möglichkeit haben offensichtlich nach 1945 viele Gebrauch gemacht: In ganz Deutschland gibt es – laut Telefonbuch – nur noch einen einzigen Menschen mit Namen „Hitler“. Er wohnt in Hamburg. Vornamen: Heinz-Adolf.
Infos zu Namensänderungen beim Einwohnerzentralamt unter 42839-2150
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