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Ironischer Nostradamus

Spinnen zu Sonnenkörpern: Rainer Görß’ „Diagrammatik-Millenniomania“-Projekt in der Galerie Walter Bischoff

„Meiner Bilder sind nicht immer einfach verständlich, aber das muss auch so sein“, sagt Rainer Görß und spielt damit auf den Titel seiner Ausstellung in der Galerie Walter Bischoff in der Linienstraße an: „Diagrammatik-Millenniomania“. Der fast wissenschaftliche Klang der Wörter ist kein Zufall. Görß geht es darum, systematisch mit verschiedenen Medien und Materialien Stimmungen und Ausdrucksformen der Gegenwart zu untersuchen. Seine schrundigen Leinwände spiegeln die Mischung aus Planung und Willkür wieder, aus der heraus er operiert.

„Ich experimentiere in meinen Bildern mit der Abstoßung von Wasser und Öl. Da ergeben sich sehr schöne Strukturen“, sagt er. So entstehen zufällige Landschaften, strukturiert durch Zeichen und Tabellen, die er fein säuberlich auf dem unregelmäßigen Untergrund aufträgt. Der Widerspruch von urtümlichem Chaos auf der einen und Ordnungsversuchen auf der anderen Seite zieht sich von jeher durch das Werk von Görß. Schon früh sammelte er scheinbar beliebige Fundstücke, die ihm alltäglich in die Hände fielen, und gruppierte sie dann säuberlich in Setzkästen und Vitrinen.

Der 1960 geborene Görß stammt aus Berlin, studierte jedoch in Dresden, machte dort 1989 seinen Abschluss und zog zur Zeit des Mauerfalls wieder nach Berlin-Mitte. Beim Start seiner Künstlerkarriere wurde er von den Zeitläuften begünstigt. „Ich habe Glück gehabt und bin nach der Wende in das Ausstellung- und Galerienkarussell hineingerutscht“, sagt er. „Damals gab es in Berlin-Mitte fast gar keine Künstler, aber eine rege Nachfrage. Gute Sachen können dann schon einmal auffallen.“ Mit der Beachtung, die ihm in Wendezeiten zuteil wurde, konnte Görß sich dauerhaft im Kunstbetrieb etablieren. Durch Beteiligungen an „Metropolis“ im Martin-Gropius-Bau oder an der Biennale in Venedig machte er sich als Künstler einen Namen, der ihm auch heute noch die Realisierung großer Projekte ermöglicht. Im Juli dieses Jahres enthüllte er am Hausvogteiplatz ein Mahnmal, das die Geschichte des Platzes als Modezentrum und die Vertreibung der Juden während der Nazizeit thematisiert: Spiegel an der Front und an den Seiten des U-Bahn-Eingangs Hausvogteiplatz vervielfachen das Bild des Betrachters und halten ihm, wenn er die Treppe hinabsteigt, Schriftzüge mit den Namen der vertriebenen Juden vor Augen. „So kann niemand der Geschichte des Platzes entkommen“, meint Görß.

Das vielschichtige Werk lässt sich auch gegenwärtig nicht auf ein Thema oder ein Material festlegen. Ohnehin sind es „Veränderungs- und Umwandlungsprozesse“, die Görß interessieren. Das erkennt man auch an seinen Videos, die parallel zu den Bildern in der Ausstellung gezeigt werden. Sie tragen Namen wie „Nostradamus Sonne“ oder „die Sonnen Membran“ und zeigen Wandlungsprozesse von Landschaften oder Natursituationen. In einem der Videos wird eine Spinne zu einer im Wasser gefilmten Sonne, in dieser wiederum werden dann die Sterne des nächtlichen Himmels fixiert. Sterne, Sonne, Nostradamus, das mutet ein wenig esoterisch an, ist jedoch von Görß nicht so gemeint: „In den ganzen Sachen steckt auch eine gehörige Portion Ironie.“ RICHARD RABENSAAT

Bis zum 6. September, Mi-Fr 14-19 Uhr, Sa 11-14 Uhr, Galerie Walter Bischoff, Linienstraße 121

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