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Brutalstmögliche Vertuschung

Für die Grünen im hessischen Landtag war die CDU-Affäre keine „geheime Kommandosache“ der Bösewichter Wittgenstein, Weyrauch und Kanther

Der „brutalstmögliche Aufklärer“ reklamiert wieder die schon vor dem Untersuchungs- ausschuss in Berlin strapazierten Gedächtnislücken für sich: keine Erinnerung an die Fraktionssitzung vom März 1993

aus Wiesbaden HEIDE PLATEN

Die Opposition läuft Sturm. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sitzt seit zwei Tagen wieder ebenso beharrlich aus, wie er wieder unter heftigen Druck geraten ist. Ihm und seinem Staatskanzleichef Franz Josef Jung wird nun vorgeworfen, in Sachen CDU-Spendenaffäre vor dem Berliner Bundestags-Untersuchungsausschuss die Unwahrheit gesagt zu haben. Ausgerechnet ein Parteifreund ließ am Mittwoch neue Zweifel am selbst ernannten „brutalstmöglichen Aufklärer“ Koch aufkommen.

Der CDU-Abgeordnete Frank Lortz hatte in seiner Partei nie einen leichten Stand. Der 47-jährige Diplom-Volkswirt und Finanzexperte aus Seligenstadt gehört dem Landtag seit 1982 an. Immer wieder kandidierte er ohne sicheren Listenplatz, immer wieder schaffte er den Einzug in das Parlament dank seiner Beliebtheit im Wahlkreis per Direktmandat aus eigener Kraft. Der bodenständige Kommunalpolitiker ist in Wiesbaden ein eher unscheinbarer Hinterbänkler. Er nehme „keine Blatt vor den Mund“, sei „volkstümlich, bildhaft und deftig, das aber auf eine angenehm ehrliche Art und Weise“, sagen auch Gegner. „Wenn er etwas für richtig hält, dann sagt er das.“

Und Lortz hielt es Mittwochnachmittag für richtig, sich in Widerspruch zu seiner Parteiführung zu setzen, indem er zu dem spektakulären Unterschlagungsfall Reischmann Stellung nahm. Weder Koch noch Jung wollten davon bisher Genaueres gewusst haben. Franz Josef Reischmann, Buchhalter der Partei und der Fraktion, hatte die CDU von 1988 bis 1992 um insgesamt über 2 Millionen Mark geprellt. Der betrügerische Mitarbeiter war aber nicht etwa angezeigt, sondern nach Unterzeichnung eines Schuldanerkenntnisses nur entlassen worden.

Das von Reischmann neben anderen hinterlassene Loch in der Fraktionskasse wurde Ende 1992 vom CDU-Landesverband in ungefähr gleicher Höhe mit 407.000 Mark unbekannter Herkunft wieder gestopft. Der verstohlene Abgang Reischmanns, so hatten Koch-Gegner immer wieder vermutet, sei deshalb vertuscht worden, weil seine Unterschlagungen nur in der Gemengelage von Schwarz- und regulären Parteigeldern möglich gewesen seien.

Koch und Jung hatten im Mai dieses Jahres in Berlin übereinstimmend ausgesagt, sie hätten damals davon rein gar nichts bis kaum etwas mitbekommen, denn auch die Affäre Reischmann sei von dem damaligen Parteichef Manfred Kanther unter größter Geheimhaltung abgewickelt worden. Nur sehr wenige seien eingeweiht gewesen. Lortz berichtete nun auf Anfrage der SPD am Mittwoch im Haushaltsausschuss, dass in Wahrheit nicht nur die Parteiführung, sondern die ganze CDU-Fraktion längst Bescheid gewusst habe. Er selbst habe sie in seiner Funktion als interner Kassenprüfer aus Anlass des Auftauchens der 407.000 Mark im Frühjahr 1993 darüber informiert, nachdem er bei der Revision des internen Rechnungsprüfungsberichtes „Unregelmäßigkeiten“ festgestellt habe.

Die Verblüffung bei den Oppositionsparteien war naturgemäß groß, die Reaktionen aufgeregt. Grüne und SPD geißelten zum wiederholten Male die „Lügengebäude“ der CDU-Führung. Mit der Aussage von Lortz, so Rupert von Plottnitz, Obmann der Grünen im hessischen CDU-Untersuchungsausschuss, sei „das Kartell der Unwahrheit“ offensichtlich. Die CDU-Finanzaffäre sei eben keine „geheime Kommandosache“ der drei Bösewichter Wittgenstein, Weyrauch und Kanther gewesen.

Hessens Ministerpräsident Roland Koch reklamiert auch diesmal die schon in Berlin strapazierten Gedächtnislücken für sich. Er habe keinerlei Erinnerungen an eine Fraktionssitzung, in der der Name Reischmann gefallen sei, und auch nicht daran, dass über die Höhe der Unterschlagung oder deren Ausgleich aus der Parteikasse berichtet worden sei. Er selbst sei, wie schon in Berlin ausgesagt, erst im Sommer 1993, anlässlich der offiziellen Amtübergabe des Fraktionsvorsitzes von Manfred Kanther an ihn, von diesem persönlich informiert worden. Er habe den Fall für abgeschlossen gehalten. Im Übrigen gibt Koch sich gelassen. Er könne nicht erkennen, was es denn ändern solle, wenn er schon im März und nicht erst im Juni 1993 davon erfahren habe.

Die Pressestelle des Koalitionspartners FDP reagierte gestern verhalten. Es seien bisher keine neuen, strafrechtlich relevanten Fakten auf dem Tisch. Der Rest sei das „Problem der CDU“ und gehe die Liberalen nichts an.

Umso mehr muss es Koch schmerzen, dass ein weiterer Parteifreund gar nicht glücklich über die neue Enthüllung ist. Der Präsident des Hessischen Landesrechnungshofes, Udo Müller (CDU), rügte das Verhalten der damaligen CDU-Spitze. Da es sich bei der Unterschlagung um Fraktions-, also öffentliches Geld gehandelt habe, hätte der Vorfall gemeldet und gegen den Täter Strafanzeige erstattet werden müssen.

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