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Von Doggenund Menschen

Theater der Pannen: das Performance-Duo „Hygiene Heute“ setzt auf das Spiel mit Strukturen und Biographien – und auf den Überraschungseffekt

von FALK RICHTER

Es war im Frühjahr 1998, und es war wunderbar: Damals firmierten Bernd Ernst und Stefan Kaegi noch als „Erdbeermund“, und unter diesem Namen hatten sie den Agrarwissenschaftler Peter Heller eingeladen, auf der Probebühne des Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaften einen Vortrag über Geflügelzucht zu halten. „Erdbeermund“ definierten Hellers Vortrag als Theater, indem sie ihn in eine theatrale Umgebung versetzten, und das Publikum, das vollkommen auf eine Performance konditioniert war, nahm Puten, Broiler und Freilandhaltung eben als Performance wahr.

Ein halbes Jahr später nannten sich der 1975 in New York geborene Ernst und der 1972 in der Schweiz geborene Kaegi dann „Hygiene Heute“ und stellten eine adlige Deutsche Dogge auf die Bühne: Kaegi hatte im vorherigen Semester ein Seminar zu Kontaktimprovisation besucht und war, nachdem er Hundetrainern mit ihren Tieren zugesehen hatte, der Meinung, dass dieses Training Tanz im reinsten Sinne war. Der „Vortrag von Olaf von Solling“ wollte jedoch nicht recht funktionieren: Ein als Katze schlecht getarntes Spielzeugauto irritierte den Hund, der daraufhin aus seiner Adelsrolle fiel, sein Podest verließ und erst einmal nicht einzufangen war.

„Ich interessiere mich dafür, Sachen auf der Bühne zu sehen, die gleichzeitig inszeniert sind und vollkommen aus dem Ruder laufen können“, meint Kaegi – Theater der begeisternden Pannen. Zum Form gebenden Element erhoben wurde die Panne im Sommer 1999, bei „Training 747“, einer Mythencollage, mit der „Hygiene Heute“ beim Darmstädter Cutting-Edge-Wettbewerb teilnahm. Die noch am ehesten dem traditionellen Theater verhaftete Produktion des Duos ist, indem sie Flugzeugabsturz und Performance parallelisierte, gleichzeitig Panne und Perfektion. Wobei die so verstandene Perfektion dann in Darmstadt auf die Spitze getrieben wurde, als eine Lautsprecherbox auf die Bühne stürzte und einen Stromausfall verursachte. „Das Perfekte prallt zusammen mit der brüchigen Realität“, bezeichnet Kaegi diese Momente, wo die Übereinkünfte fester Strukturen nicht mehr funktionieren.

Es durchzieht die Arbeit des Duos bis heute: das Interesse am Spiel mit Strukturen, allerdings nie zerstörerisch. Der wissenschaftliche Vortrag in „Peter Heller spricht über Geflügelzucht“, der vollkommen unbeschädigt in eine fremde Umgebung verlegt wird. Oder der politische Diskurs in „Kongress der Schwarzfahrer“, einem interdisziplinären Symposium, das „Hygiene Heute“ im Frühjahr 2000 in der Hamburger Kampnagel-Fabrik abhielten. Spätestens hier zeigt sich die Nähe zu Christoph Schlingensief. Spätestens hier zeigt sich aber auch die Distanz, die „Hygiene Heute“ von anderen Akteuren der Gießener Schule trennt. „Was uns nicht interessiert, ist Zeitgeistverkörperung, Identifikation und Konstitution eines gemeinsamen Erinnerungsrahmens“, schießt Kaegi in Richtung von Gruppen wie Showcase Beat le Mot oder She She Pop. „Spannender als die eigene Biographie auszuloten sind doch die Biographien fremder Leute“, meint Bernd Ernst.

Fremde Biographien: die zweite Konstante. Ganz stark bei der jüngsten Arbeit, „Der Verweis Kirchner“, wo es inhaltlich um nichts anderes mehr geht als um die Umkreisung der biographischen Stationen des imaginären Bruno Kirchner, der 1998 angeblich spurlos verschwunden ist und sich sporadisch mittels Tonbändern im Leben zurückmeldet. Dumm nur, dass Kirchners Biographie ein recht fragiles Gebäude ist. Schön hingegen, dass die Tonbänder aus Wegbeschreibungen bestehen, die einen zur Recherche seines ominösen Aufenthaltsorts atemlos durch die Stadt hetzen. Das massive Interesse an öffentlichen Räumen hat sich bei „Hygiene Heute“ übrigens erst im Laufe der Jahre entwickelt. War der Spielort für die ersten Produktionen noch eher unwichtig, leben die bislang zwei Teile von „Der Verweis Kirchner“ weitgehend von den Gegenden, in die der einzeln teilnehmende Zuschauer von der Audiotour gehetzt wird: die verrottende Gießener Wohnung im ersten Teil, die menschenleeren Verladeanlagen im Frankfurter Osthafen im zweiten Teil.

Zurück zur Struktur: Natürlich ist bei „Der Verweis Kirchner“ die Nähe zum Hörspiel nicht zu leugnen, doch funktioniert die Produktion nicht als ein solches. „Der Verweis Kirchner“ ist ein Film, und als Leinwand fungiert die Stadt; es ist insofern stimmig, dass der erste Teil im Rahmen der groß angelegten (wenngleich partiell misslungenen) Gießener Stadtrauminszenierung „ZeitenWende“ zu sehen war. Wobei der durchschlagende Publikumserfolg der „Kirchner“-Serie nicht nur auf die perfekte Dramaturgie der Tonspur, auf den Nachbau hollywoodesker Paranoia zurückzuführen ist, sondern vor allem auf den Überraschungseffekt des ungewohnten theatralen Mediums Audiotour.

Dieser aber lässt sich nicht ewig reproduzieren. Deswegen gehen „Hygiene Heute“ jetzt erst einmal getrennte Wege: Stefan Kaegi, indem er im Frankfurter Mousonturm an dem Formel-1-Kreuzworträtsel „Boxenstop“ arbeitet; Bernd Ernst, indem er eine weitere Stadtrauminszenierung für Gießen konzipiert.

Die „Kirchner“-Trilogie wird voraussichtlich erst im Herbst 2001 ihren Abschluss finden: Ein dritter Teil im norwegischen Bergen ist angedacht. Wenn nichts dazwischenkommt.

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