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Osttimor betet für die Helden

Ein Jahr nach dem Unabhängigkeitsreferendum in Osttimor sind noch immer über 100.000 Flüchtlinge nicht zurückgekehrt. Die Unabhängigkeitsführer Xanana Gusmão und José Ramos Horta sorgen bei ihren Anhängern für Irritationen

aus Dili JÖRG MEIERund CARL DIETMAR

Mit einer Messe hat Osttimors Friedensnobelpreisträger Bischof Carlos Belo gestern in der überfüllten Kathedrale von Dili die Feiern zum ersten Jahrestag des Unabhängigkeitsreferendums eröffnet. „Wir beten für die Helden, die für unsere Befreiung gestorben sind“, sagte Belo. Auf dem Santa-Cruz-Friedhof wurden zum Gedenken an ein von indonesischen Soldaten verübtes Massaker Kränze niedergelegt. Später lauschten tausende Menschen vor dem ehemaligen Gouverneurspalast und heutigen Sitz der UN-Administration (Untaet) Glückwünschen aus Australien und Portugal und bejubelten die Landung von portugiesischen Fallschirmjägern auf dem Festgelände.

Am 30. August 1999 hatten in einer von der UNO organisierten Abstimmung knapp 80 Prozent der Osttimoresen für das Ende der indonesischen Annexion votiert. Darauf zerstörten proindonesische Milizen in einer Orgie der Gewalt das Land, ermordeten mehrere hundert Menschen und trieben hunderttausende in die Flucht. Erst eine von Australien geführte Militärintervention beendete die Gewalt auf der Inselhälfte, die jetzt unter UN-Verwaltung steht.

Unabhängigkeitsführer Xanana Gusmão rief gestern zur Versöhnung und zum gemeinsamen Aufbau des künftigen Staates Timor Loro Sa’e auf. Wie er erschienen auch andere politische Führer am Morgen erst kurz vor Ende der Messe in der Kathedrale. Am Abend zuvor hatte die politische Elite Osttimors am letzten Tag ihres ersten Nationalkongresses wieder bis in den Morgen getagt und um die Zukunft des Landes gerungen.

Am gestrigen Feiertag war die Stimmung nicht überschwänglich. Noch immer gibt es Irritationen wegen des taktischen Rücktritts von Gusmão und seinem Stellvertreter, Friedensnobelpreisträger José Ramos Horta, vom Vorsitz des Nationalrates des osttimoresischen Widerstands (CNRT) vor wenigen Tagen. Während des Nationalkongresses waren Vorbehalte gegen Ramos Horta geäußert worden. Auch gab es Stimmen, die der Elite Korruption und Ämterpatronage vorwarfen. Gusmão begründete seinen Rücktritt mit der Absicht, Jüngeren mehr Platz einräumen zu wollen. Die Reaktion der 460 Delegierten war abzusehen: Nach emotionaler Debatte und entsprechenden Appellen traten die beiden Führer vom Rücktritt zurück und wurden in ihren Führungsposten der Dachorganisation bestätigt. Sie soll bis zu den ersten Wahlen, im Jahre 2001, mit der Untaet die politischen Weichen stellen.

Neben dem Wiederaufbau von Infrastruktur und Erziehungswesen ist das wichtigste Problem Osttimors die Rückführung und Reintegration von über 100.000 Vertriebenen, die sich noch immer in Lagern in Westtimor aufhalten. Nachdem es in den vergangenen Wochen vermehrt Übergriffe proindonesischer Milizen gegen Rückkehrwillige gab, stationierte das indonesische Militär, das als eigentlicher Drahtzieher des Konfliktes gilt, eine zusätzliche Brigade in der westtimoresischen Grenzstadt Atambua.

Die Unfähigkeit des Militärs zur Konfliktbewältigung, die auch in anderen Unruheherden Indonesiens zu Tage tritt, lässt auf fehlenden Willen und die Absicht schließen, die reformorientierte Regierung in Jakarta zu desavouieren. In Osttimor hat die instabile Situation an der Grenze zu Westtimor zur Folge, dass den ehemaligen Unabhängigkeitskämpfern der Falintil, die im Bergland südlich von Dili stationiert worden waren, wieder mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Sie sollen den Kern einer künftigen Armee bilden.

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