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In den Wahnzimmern

■ Die Kunsthalle hat die Schatzkiste geöffnet und zeigt Kunst von 1950 bis heute

Vor der Bremer Kunsthalle stehen schon wieder Gerüste. Drei Jahre nach der großen Sanierung wird in dem Museum erneut gebaut. Sind die heiligen Hallen der bildenden Kunst schon wieder veraltet? Wird die Kunsthalle gar zu einem Museum des 21. Jahrhunderts umgebaut? Nein, not yet, messieursdames. So schnell sind die rührigen AusstellungsmacherInnen und SammlerInnen Am Wall 207 auch nicht. Draußen wird bloß die kriegsversehrte Fassade renoviert. Und drinnen wird – wie in vielen anderen Museen anno 2000 auch – eine Rückschau gehalten. Doch genau diese Rückschau auf die Eigen-erwerbungen und Schenkungen der letzten 50 Jahre umfasst einen so kurzen, aber an Entwicklungen reichen Zeitraum, dass sich die Fragen nach der Zukunft der Museen, der Kunst und gar des Sehens ganz von allein stellen.

„Times are changing – Auf dem Wege! Aus dem 20. Jahrhundert“ hat Kurator Andreas Kreul diese Auswahl aus der Schatzkammer des Museums genannt. Auf zwei- bis dreitausend Werke schätzt er den Bestand. Ein Teil davon ist nun in einer Übersicht im Anbau und weiteren, im Rest des Museums verteilten Beispielen zu sehen. Einige Arbeiten sind erstmals aus dem Magazin geholt worden, andere waren seit Jahren im „Gedächtnis des Museums“, so Kunsthallendirektor Wulf Herzogenrath, eingelagert.

Kreuls Auswahl ist eine ästhetisch ziemlich explosive Mischung. Im wissenschaftlich-nüchternen Sinne dokumentiert sie zwar, dass die Bremer Kunsthalle im Lauf der Jahre größere Werkkomplexe von John Cage, Lucebert, Kurt Kranz, Nam June Paik und anderen angesammelt hat. Doch ihre Spannung gewinnt sie aus überraschenden Gegenüberstellungen und dem Zeitraffer-ähnlichen Ritt durch eine sich anscheinend immer schneller ausdifferenzierende Entwicklung von Kunst.

Marc Chagalls „Christus vom Mondlicht beschienen“ hängt da wie ein Bild aus einer längst vergangenen Epoche. Denn nur wenige Schritte entfernt leiten die ersten Bilder aus Hiroshi Sugimotos 1991 entstandener Fotoserie eines Horizonts namens „Time Exposed“ über zur Jetztzeit. Flimmernde Videoinstallationen treten da in Konkurrenz zum klassischen Tafelbild, Fotografien zu Zeichnungen und Aktionskunst-Dokumenten wie Anna und Bernhard Blumes Serie „Im Wahnzimmer“. Vom Anbau bis unters Dach des renovierten Altbaus führt die Entdeckungstour durch 50 Jahre Kunst.

Kreul nutzte beim Gestalten der Ausstellung die Gelegenheit, bei MuseumsbesucherInnen beliebte Werke wieder zu zeigen. So ist Peter Campus interaktive Videoinstallation „mem“, die einen in ein trügerisches Spiel verwickelt, wieder zu sehen. Auch Olafur Eliassons „Raum für eine Farbe“ versetzt wieder einen anregenden Schock und zeigt kurz nach Ende der „Klangtranstase“ in der Glocke, dass ihr Urheber Götz Lemberg seine Einfälle nicht nur bei Rolf Julius abgeguckt hat.

„Times are changing“ ist also eine Art Best-of-Ausstellung. Die gezeigte Auswahl überdeckt allerdings geschickt, dass in den letzten Jahren weniger Neuerwerbungen hinzugekommen sind. Der Hauptgrund: Die Bremer Museen verfügen seit Jahren über keinen Ankaufsetat mehr, was Kunsthallenchef Wulf Herzogenrath bei jeder Gelegenheit anprangert. Nur durch den Förderkreis oder andere StifterInnen ist es möglich, dass eine Rückschau wie diese auch den letzten Augenblick einbezieht. Immerhin haben Kreul und Co. auch den Anspruch in die Zukunft zu weisen. Für den Kurator liegt sie – neben der Ausstellung – auch im Internet: Unter www.kunsthalle-bremen.de übertragen Web-Cams die Bilder dieser Ausstellung auch in die Wahnzimmer daheim. ck

bis 29. Oktober, Katalog 28 Mark

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