: Zwischen Aufbruch und Begräbnis
Neukölln hat ein neues Einkaufszentrum: Mit dem „Forum Neukölln“, das sich „Urban Entertainment Center“ nennt, hat Berlins ärmster Bezirk nun drei solcher Konsumtempel. Das Nachsehen haben kleine Händler in der Gegend
Aus den ankommenden U-Bahnen ergießen sich Menschenmassen. Haben sie an der Station Rathaus Neukölln die Treppenstufen zur Karl-Marx-Straße erklommen, stehen sie auch schon vor dem Ort ihrer Begierde: Dem „Forum Neukölln“.
Ein großes, rotes, ellipsenförmiges „O“ auf dem Dach des siebenstöckigen gläsernen Einkaufszentrums in Berlins ärmstem und bevölkerungsreichstem Bezirk kündet schon aus der Ferne den neuen Konsumtempel an. Nur das Betreten gestaltet sich schwierig. Denn zur Eröffnung am Samstag und zum gestrigen verkaufsoffenen Sonntag kamen Tausende Besucher, um sich anzusehen, was für 250 Millionen Mark an der Karl-Marx-Straße Ecke Flughafenstraße entstanden ist.
Was sie vorfanden, kennen sie in ähnlicher Form vom Kindl Boulevard und den Gropius Passagen. Der Hauptunterschied dürfte in der Verkaufsfläche liegen. Im „Forum Neukölln“ gibt es auf 29.000 Quadratmetern Ketten wie McPaper, ProMarkt, Wöhrl-Moden, Douglas, Görtz, Christ und Hugendubel, wo das Architekturbuch „Glanz und Elend der Hauptstadt“ für einen Ramschpreis angeboten wird. Beim Essen konkurrieren Curry-Paul, Sushi, McDonald’s, eine Confiserie, Nordsee, ein Supermarkt und mediterrane Spezialitäten.
Dass das Forum auch Berlins modernste öffentliche Bibliothek beherbergt, wird den meisten Besuchern am Wochenende entgangen sein. Denn sie befindet sich im sechsten und siebten Stock, in den man sonst nur fährt, um den Wagen aus einem der Parkdecks zu holen oder um sich die Dächer Neuköllns von oben anzuschauen.
In den römischen Städten der Antike war ein Forum ein Markt- und Versammlungsplatz. Doch das Forum Neukölln nennt sich wie Sony „Urban Entertainment Center“. Ganz ohne Anleihen bei der Antike kommt jedoch Bezirksbürgermeister Bodo Manegold (CDU) nicht aus. In seinem Beitrag für das „Forumjournal“ zitiert er Cicero, Roms bedeutendsten Redner: „Wenn der Handel aber im Großen und ausgedehnt betrieben wird, viele Waren von allen Seiten einführt und vielen Leuten ohne Schwindel ihre Bedürfnisse liefert, verdient er gerade keinen Tadel.“
Von Schwindel erregenden Umsätzen ist bei den umliegenden Händlern eh nicht die Rede. In der Hermannstraße steht schon jetzt jedes zehnte der 200 Geschäfte leer, in der Sonnenallee sind von 200 Läden 10 nicht vermietet. Die großen Händler wappnen sich für den anstehenden Konkurrenzkampf: Hertie lockt mit einer neuen Lebensmittelabteilung, auch Sinn-Leffers hat umgebaut und Karstadt am Hermannplatz sieht schon heute aus wie Lafayette in Neukölln.
Lange Zeit hing das Forum-Projekt, das bereits vor dem Mauerfall von Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner (CDU) – damals noch Baustadtrat in Neukölln – mit auf den Weg gebracht wurde, in der Luft. Schließlich musste auch die Eröffnung verschoben werden – wegen Vermietungsproblemen.
Erst als Wöhrl Moden aus Nürnberg einstieg, zogen andere Mieter nach. Momentan liegt der Vermietungsstand bei 100 Prozent. Auch mit dem Multiplex-Kino gab es Probleme. Nachdem die Kinokette UCI abgesprungen war, ließ sich der neue Betreiber, die Filmhändler Sundarp und Mertins, sein kurzfristiges Engagement versilbern. Die Betreibergesellschaft KapHag musste die Bestuhlung und die komplette Kinotechnik bezahlen.
Doch Wirtschaftssenator Branoner ist sicher, dass durch das Forum Neukölln die Attraktivität der Gegend gesteigert wird. Die Neuköllner Grünen hingegen befürchten eine „weitere Beschleunigung des Niedergangs des Einzelhandels in der Karl-Marx-Straße“.
Die Einweihungsfeier des Forums drohe für viele zur „Begräbnisfeier“ zu werden.B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA
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