FRANKREICHS REGIERUNG SCHENKT DEN FUHRUNTERNEHMERN STEUERN: Völlig verfehlte Signale
So schnell ist die Pariser Regierung noch vor keiner Protestbewegung in die Knie gegangen. Dabei sind weder die Brummi-, Taxi-, Krankenwagen- und Busbetreiber noch die ebenfalls beteiligten Bauern eine typische Klientel der Linken. Im Gegenteil: Diese Gruppen hatten besonders laut gegen die Einführung der 35-Stunden-Woche als „staatliche Einmischung in das freie Kräftespiel“ protestiert. Sie sind kleine und mittlere „Patrons“, bei denen oft wenig soziale Arbeits- und Lohnbedigungen herrschen; liberale Ultras, die jetzt nach staatlichem Eingreifen zu ihren Gunsten schreien.
Dass wenige tausend Bosse ein von einer soliden linken Mehrheit regiertes Land so einfach erpressen können, spricht nicht für die rot-rosa-grüne Regierung. Mit der Abschaffung der „Vignette“ genannten Kfz-Steuer in der letzten und der selektiven Senkung der Steuer für Diesel in dieser Woche setzt sie völlig verfehlte Signale. Denn beide Maßnahmen sind sozial ungerecht und ökologisch verantwortungslos, benachteiligen Kleinverdiener, verstärken den umweltbelastenden und sicherheitsgefährdenden Straßenverkehr – und zeigen, wie weit sich die Regierung von den Prinzipien entfernt hat, derentwegen sie 1997 gewählt wurde.
Was sozial und ökologisch begann, ist liberal geworden. Aber das gegenwärtige Chaos auf Frankreichs Straßen ist auch logisches Resultat einer verfehlten europäischen Verkehrspolitik. Der exponentiell wachsende Güterverkehr im Binnenmarkt verlagert sich alljährlich stärker von der Schiene auf die Straße. Seit die EU den Gütertransport auch noch komplett liberalisiert, ist auf Europas Straßen ein mörderischer Konkurrenzkampf ausgebrochen, der nicht nur mit einem nie dagewesenen Sozialdumping, sondern auch einem beispiellosen Konzentrationsprozess einhergeht. Ein großer Teil der im Boom der letzten Jahre entstandenen kleineren Unternehmen wird diesen Prozess nicht überleben. Wenn deutsche Fuhrunternehmen in Rumänien Fahrer zu Ortslöhnen engagieren dürfen, können französische Patrons, die tariflich zahlen und bei den Mineralölsteuern im oberen Feld liegen, unmöglich mithalten.
Ein dritter Akteur der Krise, der zentrale möglicherweise, schaut dem Treiben wie unbeteiligt zu. Dabei sind es die großen Mineralölkonzerne, die für den Anstieg der Preise an den Zapfsäulen sorgen. In diesem Jahr erwarten sie Rekordgewinne, wie sie seit dem Golfkrieg nicht mehr da gewesen sind. Selbst während der Straßenblockaden in Frankreich stiegen ihre Aktienkurse unablässig. Trotzdem greift ihnen niemand ins Portemonnaie. Bezeichnenderweise. DOROTHEA HAHN
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