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Aus Koch wird Kohl

Der hessische Ministerpräsident ernennt einen neuen Staatskanzleichef. Alles an dem Verfahren erinnert an das System Kohl, meint die Opposition

BERLIN taz ■ Überraschend schnell ernannte der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) gestern Nachmittag einen Nachfolger für den am Donnerstag zurückgetretenen Europaminister und Leiter der Staatskanzlei, Franz Josef Jung. Es ist wieder ein alter Weggefährte Kochs.

Der Staatssekretär im Finanzministerium, Jochen Riebel, war Landrat im Main-Taunus-Kreis. Er gilt als populistischer Rechtsaußen. Am Dienstag wird Koch sich im Landtag der bei Kabinettsumbildungen in der hessischen Verfassung vorgeschriebenen Vertrauensabstimmung stellen.

Die rot-grüne Opposition fordert unvermindert Neuwahlen, weil der Rücktritt von Jung kein freiwilliger, sondern ein vom Koalitionspartner FDP erzwungener gewesen sei. Deren Landesvorsitzende Ruth Wagner versicherte auch gestern ihre unverbrüchliche Treue zu Roland Koch. Mit dem Rücktritt von dessen engstem Vertrauten Jung sei man entsprechenden Forderungen der Parteibasis, aber auch aus der Bundes-FDP entgegengekommen, nachdem in den Akten der Staatsanwaltschaft belastende Briefe aufgetaucht seien. Diese ließen vermuten, dass Jung mehr von der Schwarzgeldaffäre und vor allem von der Vertuschung einer Millionenerpressung durch einen ehemaligen Mitarbeiter der Parteizentrale gewusst habe, als er bisher zugegeben habe.

Koch bestreitet das. Jungs Rücktritt sei nur aus Rücksicht auf die FDP erfolgt. Er lobte Ruth Wagner für ihr Durchhaltevermögen im vergangenen halben Jahr. Die FDP habe an seiner Seite „viel mitgemacht“. Jetzt sei es an der Zeit gewesen, sie zu entlasten, denn sie habe dem Druck der „medialen Welt“ nicht mehr Stand halten können. Er wolle nun endlich einen „Neuanfang“.

SPD-Generalsekretär Müntefering warf Koch gestern vor, er habe immer nur so viel zugegeben, wie ihm nachweisen konnte. Deshalb sei „seine Glaubwürdigkeit absolut ramponiert“. Das Festhalten der CDU an Koch interpretierte er als Schwäche der Führung der Bundespartei. Es gebe in der CDU Kreise, die aus „dem jungen Koch einen neuen Kohl machen wollen. Und offensichtlich ist er hartleibig genug, dieses Spiel mitzuspielen.“

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Walter Döring nannte die Zustände in Hessen „unerträglich“. Der „Fortsetzungsroman“ müsse ein Ende haben,er belaste die gesamte FDP auch im Blick auf kommende Landtagswahlkämpfe. Die Haltung von Ruth Wagner nannte er „menschlich verständlich, aber sachlich falsch“. Sie müsse sich von Koch trennen, zumal dessen freiwilliger Rücktritt wegen dessen „bekannter Hartnäckigkeit“ nicht zu erwarten sei.

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