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Pathologie eines Geheimdienstlers

Russlands Präsident Wladimir Putin haucht dem Sowjetgespenst neues Leben ein. Dabei offenbart er auf einmal subtiles Kommunikationstalent: Im Westen gelingt es ihm, Journalisten in seinen Bann zu ziehen. Zu Hause setzt er voll auf Zensur

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Sergej Dorenko, umstrittener Moderator des staatlichen Fernsehens ORT, sollte wie jeden Samstagabend um 21 Uhr auf Sendung gehen. Am vergangenen Wochenende gab es indes statt seines Politmagazins Nachrichten und einen amerikanischen Thriller. Kein Wort verlor der Sender über die kurzfristige Programmänderung.

Warum auch? Schließlich hat niemand geputscht, im Kreml sitzt immer noch Wladimir Putin. Und der haucht dem verstaubten Sowjetgespenst beharrlich neues Leben ein. Devise: Zuschauer haben zu schlucken, was ihnen vorgesetzt wird.

Als einzige russische Fernsehanstalt reicht ORT noch in die hintersten Winkel des Riesenreichs. Narziss Dorenko behauptet gar, 40 Millionen Zuschauer gehörten zu seiner Fangemeinde. Der Starmoderator repräsentiert eigentlich nicht das Leitbild eines unabhängigen und unbeugsamen Journalisten. Im Gegenteil: Er gehört zum Team des Finanztycoons Boris Beresowski, der sich mit dem Kreml überworfen hat. Kollege Wladislaw Fljarkowski vom kleineren Sender TWZ schaute am selben Abend ebenfalls in die Röhre: Auch sein Politmagazin „nedelja“ wurde kurzfristig abgesetzt. Fljarkowski hatte laut über die Chancen eines öffentlich-rechtlichen Fernsehens nachgedacht.

Dorenko vermutet Wladimir Putin hinter der Aktion. Denn Ende August hätte ihn der Präsident eingeladen, „in seinem Team“ zu spielen. „Meine Mannschaft besteht aus 40 Millionen Zuschauern“, will Dorenko geantwortet haben. Und das schmeckte dem Kreml-Chef gar nicht. Wohlgemerkt, noch vor Jahresfrist war es Dorenko, der über Putins Regentschaftsrivalen kübelweise Dreck entlud und den damaligen Premierminister durch tendenziöse Berichte in den Kreml hievte. Doch die Front hat sich verschoben, schließlich hieß Dorenkos geschasstes Programm „Kreml gegen Gesellschaft“.

Vor der spektakulären Abschaltaktion in bester Sowjettradition war Putin am Freitag noch kurz bei der CNN-Talklegende Larry King zu Besuch. Im Vorfeld räsonnierte die Iswestija: „Alles, was ein Geheimagent beherrscht, ist seinen Mund zu halten oder ausweichende Antworten zu geben . . .“ Bei dem flamboyanten Larry King, frohlockte das Blatt, werde Putin damit nicht weit kommen.

Doch er konnte und erweckte gar den Eindruck, als hätte er den Mann mit den Hosenträgern hypnotisiert: „Spione und Journalisten leisten ähnliche Arbeit“, verkündete unwidersprochen der nach seiner Geheimdienstvergangenheit befragte Präsident. Damit sprach er jenes Credo aus, das seit seiner Amtsübernahme im März das Verhältnis zwischen Kreml und Presse überschattet. Putins Interpretation legt nahe, dass sich Spitzelagentur und Medien nur auf professionellem Gebiet einen Wettbewerb liefern: Wer besser ist, erhält den Zuschlag.

Erstaunlich war an Putins CNN-Auftritt auch, mit welchem Charme der Kreml-Chef gerade westliche Journalisten und Staatschefs in seinen Bann zieht. Mit der heimischen Öffentlichkeit tut er sich da deutlich schwerer. Gelang es seinem Vorgänger Boris Jelzin, sich durch politischen Instinkt und Kenntnis der allfälligen Rituale auch noch aus der verfahrensten Situation zu befreien, taucht Putin ab, wenn es ernst wird: Fünf Tage verstrichen, bis der Präsident auf den Untergang der „Kursk“ im Nordmeer reagierte.

Mit dem Abgang Jelzins hatten auch die PR-Berater den Kreml verlassen, und der Neue glaubte wohl, die Autorität des Amts und seine Drahtigkeit im Vergleich zum senilen Vorgänger seien Imagepflege genug.

Darin zeigt sich altes und autoritäres Denken: Die Gesellschaft hat keinen Anspruch, von der Macht anständig behandelt zu werden. Ihre Bedürfnisse und Gefühle sind kein Thema. Verwundert es da, dass Etikette und grundlegende Normen sozialen Verhaltens vom Kreml kaum noch beachtet werden? Gerät der Präsident unter Druck und fühlt sich unbeachtet, verfällt er gar in den Jargon der Straße.

Mangelnder politischer und moralischer Instinkt zeigte sich erstmals bei der Verhaftung des Radio-Liberty-Journalisten Andrej Babitzky im Frühjahr in Tschetschenien, gefolgt von der vorübergehenden Festnahme des Medienunternehmers Wladimir Gussinsky.

Bei alldem offenbart sich ein Grundprinzip: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. – Die Pathologie eines Geheimdienstlers.

Und: Putins Maßnahmen gegen die Medien folgen keinem zufälligen Muster. Im Juni verabschiedete der Sicherheitsrat bereits eine „Doktrin über Informationssicherheit“, die eine grundlegend feindliche Haltung verriet. Ziel der Doktrin ist es, die Medien daran zu hindern, „die nationale Sicherheit zu bedrohen“ und „unwahre oder tendenziöse Informationen“ zu verbreiten.

Die Zeitung Segodnja veröffentlichte überdies kürzlich ein Papier des Innenministeriums, in dem die Absicht bekundet wird, „einen Stab von ständigen Mitarbeitern in Print- und elektronischen Medien“ aufzubauen. Wie zu Sowjetzeiten sollen so loyale Leute an den medialen Schaltstellen untergebracht werden. In Wolgograd schreckte der Inlandsgeheimdienst FSB nicht mal mehr davor zurück, die Provinzredaktionen zu verpflichten, keine Recherchen zu unternehmen, die den Interessen des FSB zuwiderlaufen.

Und im Haushaltsentwurf für 2001 trägt der Passus „Massenmedien“ als einziger neben dem Verteidigungsetat den Stempel „streng geheim“.

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