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In Minsk werden die Homos mutiger

Weißrusslands Homosexuelle reagieren erstaunlich gelassen auf das Verbot ihres Marsches durch Minsk

MINSK taz ■ Es hätte ihr großer Auftritt werden sollen. Gestern wollten Weißrusslands Schwule und Lesben erstmals durch das Zentrum der Hauptstadt Minsk ziehen. Schon seit Donnerstag fanden im Rahmen des „Belarus Gay Pride 2000“ Seminare, Konzerte und Filmvorführungen statt. Doch aus dem gestrigen großen Finale wurde nichts. Denn bereits am Donnerstag hatten die städtischen Behörden die Demonstration verboten. Die Veranstalter hätten den Antrag auf Erteilung einer Genehmigung zu spät eingereicht, lautete die fadenscheinige Begründung.

Bereits Anfang vergangener Woche hatte die Präsidialadministration ihre Haltung zu der Aktion klargemacht. Die Massenmedien, so hieß es in einer Erklärung, täten gut daran, die Schwulen- und Lesbentage zu ignorieren. Denn in Weißrussland gebe es keine Homosexuellen.

Edward Tarletzki, Hauptorganisator des „Belarus Gay Pride 2000“ und Herausgeber des bisher einzigen Schwulen-Journals Forum Lambda, reagierte gelassen auf das Verbot: „Den Behörden ist das unheimlich, sie wissen immer noch nicht, wie sie mit uns umgehen sollen.“ Zwar wollten er und seine Mitstreiter aufgrund der ausgefallenen Parade auf Provokationen verzichten, um Probleme zu vermeiden. Doch Tarletzki will bei Gericht Widerspruch einlegen.

Dass nun auch Weißrusslands Homosexuelle mehr und mehr in die Offensive gehen, ist im Lande des autoritären Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko ein kleines Wunder. Zwar wurde bereits 1993 der Artikel 121 Absatz 2 des weißrussischen Strafgesetzbuches liberalisiert. Er sah für Homosexuelle, die „auf öffentlichen Plätzen dingfest gemacht wurden“, Haftstrafen von bis zu fünf Jahren vor. Jetzt ist Homosexualität bei über 18-Jährigen legal. Dennoch leiden Weißrusslands Schwule und Lesben vielfach unter Diskriminierungen. So sind Schwule sind automatisch vom Dienst in der Armee ausgeschlossen. Wer bei der Einberufung angibt, schwul zu sein, wird zur Überprüfung in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Ein Teil des so genannten Tests besteht darin, dass den Betroffenen Fotos von nackten Frauen vorgelegt werden.

Im Februar dieses Jahres ließ der Direktor einer Minsker Fabrik, in dem ein Homo-Club untergebracht war, diesen mit der Begründung schließen, er habe keinen Platz mehr für Kranke. Nicht selten schlägt die Miliz im Milieu unter obskuren Vorwänden mit Personenkontrollen zu, um an persönliche Daten heranzukommen und so genannte Register zu erstellen.

Aus Angst bekennen sich nur die wenigsten weißrussischen Homos offen zu ihrer sexuellen Orientierung. „Meinem Vater könnte ich nie erzählen, dass ich schwul bin. Er ist ein überzeugter Kommunist, und für ihn existiert so etwas einfach nicht“, sagt Oleg Eromin. Er widmet sich bei der Organisation Vstrescha (Treffen) der Aids-Prävention. Nur seine Mutter wisse davon. „Doch sie glaubt, dass das mit der Zeit vorbeigeht und mir dann klar wird, dass ich eine Frau brauche.“

Bis heute sehen die Lehrpläne der staalichen Schulen keinen Unterricht zu Fragen der Sexualität vor. Da ist vor allem die russische orthodoxe Kirche vor, der auch das Episkopat in Minsk untersteht. Erst unlängst äußerte sich die Kirchenspitze zur Homosexualität: „Die russisch-orthodoxe Kirche ist der festen Überzeugung, dass die von Gott gegebene eheliche Verbindung eines Mannes und einer Frau nicht mit einer anormalen sexuellen Orientierung gleichgestellt werden kann. Sie hält die Homosexualität für eine sündhafte Verirrung der menschlichen Natur.“ Und: „Die Kirche verurteilt jegliche Art Propaganda für Homosexualität und empfiehlt, dass Personen, die eine homosexuelle Lebensweise propagieren, nicht für Lehr-, erzieherische oder andere Tätigkeiten mit Kindern und Jugendlichen zugelassen werden sollen sowie keine führenden Positionen in der Armee sowie Gefängnissen und Strafkolonien bekleiden sollen.“

BARBARA OERTEL

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