: Rüstung als grüner Normalfall
In einem internen Papier fordern Mitarbeiter der grünen Bundestagsfraktion eine Debatte über den Umgang mit Rüstungsexporten. Aufgeworfen wird die Frage, ob die Grünen Waffengeschäfte als Interessenpolitik anerkennen
von SEVERIN WEILAND
Als die Bundestagsfraktion der Grünen kürzlich zur Klausur bei Berlin zusammenkam, wurde der Export einer Rüstungsfabrik in die Türkei kritisiert. Die vom Bundessicherheitsrat erfolgte Genehmigung verstoße gegen die Rüstungsexportrichtlinien, lautete der einstimmige Beschluss der Versammelten. Damit war offiziell das Bedauern über einen Vorgang ausgedrückt, an dem die Fraktion in der Sache nichts mehr ändern konnte.
Der Vorgang um die Genehmigung der Munitionsfabrik für den Nato-Partner Türkei beleuchtet das Dilemma der Partei. Ihre traditionelle Haltung als Gegnerin der Rüstungsexporte bricht sich immer wieder dort, wo sie notgedrungen als kleinerer Koalitionspartner für die Entscheidung der Regierung in Haftung genommen wird. Auch wenn der geplante Verkauf von Panzern an die Türkei vorerst wohl als gescheitert angesehen werden kann, so bleibt doch das Problem, wie die Grünen sich zu Waffenverkäufen allgemein verhalten. Denn auch künftig wird das Thema, heißt es in der Fraktion, wiederkehren – neben den normalen Anfragen der Industrie vor allem durch die anstehende Bundeswehrreform, die zum Teil durch den Verkauf von Altmaterial finanziert werden soll.
Angesichts dieser Aussicht wird innerhalb der Fraktion eine Klärung angemahnt. „Der gegenwärtige Zustand wirkt vor allem nach außen außerordentlich unbefriedigend, defensiv bis hilflos“, heißt es in einem internen Papier von Reinhard Weißhuhn, einem Mitarbeiter im Bundestagsbüro von Joschka Fischer. Dass sein Papier mit dem Außenminister selbst abgesprochen ist, dementiert Weißhuhn: „Das ist eine rein persönliche Sicht.“ Zweifel bleiben jedoch – bekanntlich ist Fischer Mitglied des Bundessicherheitsrates und entscheidet mit über Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter.
Ausführlich werden von einem weiteren Mitarbeiter der Fraktion, Roland Kaestner, in einem Papier der Rüstungsweltmarkt und die Interessenswidersprüche der Hauptakteure – USA, Frankreich, Großbritannien, Russland und China – analysiert. Obwohl es keinen Grund gebe, die deutsche Rüstungspolitik zu lockern (zumal Waffen bei Kriseninterventionen gegen Bundeswehrsoldaten zum Einsatz kommen könnten), so sei doch zu überlegen, „ob auch Deutschland zukünftig wie die anderen europäischen Staaten und insbesondere der amerikanische Partner die Rüstungsexportpolitik gegenüber einzelnen Staaten als Instrument politischer Einflussnahme nutzt“. Beispielhaft nennt Kaestner die Rolle der USA in der Krise Osttimors. Der Druck auf das indonesische Militär, einem Nutznießer von US-Lieferungen, habe nach dem UN-Einsatz eine weitere Eskalation verhindert.
Trotz vieler „Sowohl als auch“-Wendungen und begrifflicher Unklarheiten – im Kern rühren die Papiere an grüne Tabus. „Wenn unsere Menschenrechts-, Abrüstungs-, Krisenpräventions- usw. -politik Interessenpolitik ist, dann muss in diesem Kontext natürlich auch die Rüstungsexportpolitik stehen“, schreibt etwa Weißhuhn. Die im Januar verabschiedeten Richtlinien zum Rüstungsexport, die auf Druck der Grünen das Kriterium der Menschenrechte enthalten, unterzieht Weißhuhn einer kritischen Betrachtung. Sie begännen „sich als das zu erweisen, was zu befürchten war: ein Placebo für die grüne Seele, das im Härtetest der Koalition nicht greift“. Zwar sieht Weißhuhn die Türkei ausdrücklich als „Sonderfall“. Doch was, fragt er, wenn ein Staat die Menschenrechte nicht verletze: „Kann er dann problemlos mit beliebigen Waffen beliefert werden?“
Eine abschließende Antwort meidet Weißhuhn. Er beschränkt sich auf die Vorstellung zweier Varianten, auch wenn er nicht verhehlt, dass eine Entscheidung „um der Klarheit willen sinnvoll und nötig wäre“. In seiner ersten Option wird Rüstungsexport wie bisher abgelehnt. Die Gefahr sei aber, dass aus Gründen der Koalitionsräson bei Nato und EU-Staaten Ausnahmen gemacht werden. Das führe zu einer „Quasi-Kapitulation vor der SPD“. Entschiede sich die Partei für diese Variante, dann sollte sie aber auch „offensiv mit positiven Ergebnissen in anderen Bereichen begründet werden“. Die zweite Variante nennt Weißhuhn „Rüstungsexport als Instrument konditionierter Interessenpolitik“. Würde dieses greifen, müsse man neben Nato-Partnern (außer der Türkei) auch andere Staaten „im Sinne unserer Ziele und Werte“ beliefern. Um welche es sich dabei handelt, klärt Weißhuhn nicht. Klar ist ihm jedoch, dass eine derartige Option „eine prinzipiell offene Haltung zu Rüstungsexporten“ bedeutet.
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