: Hau rein den Haul
■ Am Freitag kommt die Gruppe Martir Luali aus Westsahara ins Lagerhaus. Sie macht Musik und agitiert für die Unabhängigkeit
Bei Nato-Ländern und befreundeten Staaten wird die Sache mit den Menschenrechten von der so genannten Weltgemeinschaft oft großzügig beurteilt. Auch Marocko hat seine geduldeten Leichen im Keller. Die heißen Sahrauis, der Keller ist die Westsahara. Nach dem Rückzug der Spanier aus Spanisch-Sahara 1975 rissen die Nachbarn sich das Land voller Bodenschätze und einer fischreichen Küste unter den Nagel. Mauretanien bis 1989, Marokko bis heute – ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. Seitdem erzählen die Berichte von amnesty international regelmäßig von Gefolterten und Verschwundenen auf Seiten der Befreiungsarmee Frente Polisario.
Schon 1988, immerhin vor zwölf Jahren, handelten die UNO und die Organisation Afrikanische Einheit (OAU) mit dem marokkanischen Staat und der Polisario den Plan eines Referendums aus. Die Sahrauis sollten selbst abstimmen können über Autonomie oder Marokkozugehörigkeit. Seitdem werden in der Westsahara systematisch MarokkanerInnen angesiedelt, was für Marokko zwei Vorteile hat. Erstens werden die Chancen der Sahrauis im Falle einer Wahl reduziert. Zweitens lässt sich herrlich ohne absehbares Ende über die Wählerlisten streiten. Und so finden sich in unserer Zeitung Jahr für Jahr wie ein déjà-vu immer dieselben Texte wieder, die uns erklären, dass das Referendum noch einmal verschoben werden müsse. Und die so genannte internationale Staatengemeinschaft macht bei der Simulation von Verhandlungen mit, wo längst der organisierte Stillstand eingetreten ist.
Die UNO stellt mal 1.000, mal 2.000 Blauhelme zur Überwachung des brüchigen Friedensabkommens von 1991 ab, und der Westen beruhigt sein schlechtes Gewissen durch humanitäre Hilfe; auch Bremen, das sich verdienstvollerweise besonders früh auf Seiten der Polisario stellte und immer mal wieder 50.000-Mark-Beträge für irgendein Projekt springen lässt. Natürlich hoffte die ganze Welt nach dem Tod von König Hassan II. von Marokko vor einem Jahr auf die Wende, natürlich trat sie – vorerst – wieder nicht ein.
Alles in allem eine Situation, in der Musik sehr viel mehr bedeutet als Unterhaltung. Für die circa 165.000 Sahrauis, die in den algerischen Flüchtlingslagern zur Untätigkeit verdammt vor sich hinschmoren, bedeutet sie ein Stück weit Identitätsvergewisserung.
Vor zwei Jahren erschien auf dem kleinen, engagierten Label Nubenegra eine 3-CD-Box mit einem Querschnitt durch die aktuelle Musikszene in diesen vier Dauerlagern. Ein spanisches Aufnahmeteam reiste damals mit ambulantem Studioequipment und guten politischen Absichten an, um den Sahrauis bei der Rettung ihrer musikalischen Tradition beizustehen. Viele Dutzend Musiker stellen dort eine höchst abwechslungsreiche Musik vor. Wunderbar sprödes kehliges Gegurre zu trockenen Trommelklängen stehen da neben popigem, saftigem Wüsten-Soul, der die traditionellen Saiteninstrumente längst durch E-Gitarre ersetzt hat. Sie singen den Haul, der selbst in den sahrauischen Lagern mächtig Konkurrenz bekommen hat durch den algerischen Rai.
Sechs von diesen Musikern (sie nennen sich Martir Luali) touren zurzeit mit der Unterstützung des Labels durch Deutschland. Dabei verstehen sie sich nicht nur als Musiker, sondern auch als Botschafter für das Recht der Sahrauis auf Selbstbestimmung. Und so werden neben den einschlägigen Texten über Sonne, Wind und die glutvollen Augen des Geliebten auch martialische Töne aus den heißen Phasen des Krieges zu hören sein – nur gut, dass man solch Heldenmythiges nicht Wort für Wort verstehen muss. Gesungen werden sie von Männern und von Frauen. Dabei beeindruckt vor allem eine näselnde Form des Frauengesangs. Sein Durchdringungspotenzial ist so heftig, dass er mühelos die Distanz von einer Oase zur nächsten überbrücken könnte. Bei den Tänzen der verschleierten Frauen wird ein Großteil des Ausdrucks den bemalten Händen überantwortet. bk
22.9., 21 Uhr, Lagerhaus; CDs beim Versand Zweitausendeins
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen