: Liebling liebt wieder
Ein Hauch von zweitem Frühling: Manfred Krug singt noch mal, und das gleich auf zwei neuen Alben. Mit deutschen und anderen Evergreens knüpft er an seinen DDR-Ruhm als Light-Jazz-Interpret an
von DETLEF KUHLBRODT
Wochen meines Lebens hatte ich mit Manfred Krug verbracht. Eine Zeit lang ordnete „Liebling Kreuzberg“ die Tage. Bei anderen war es „Auf Achse“, die Brummi-Serie, die den gelernten Stahlschmelzer in Westdeutschland berühmt gemacht hatte. Oder die Tatorte, in denen er als Kommissar Stöver seit 1984 unter anderem auch gegen Berti Vogts vorging und zusammen mit Charles Brauer in Ermittlungspausen gern ein mehr oder weniger passendes Liedchen sang. Gibt’s auch auf CD.
Manfred Krug also: der „Heidi-Kabel-mit-Glatze-Star“ (taz), „der Grundsympath auf dem Schirm“ (Droste), der Verkehrsrowdy, Bierkenner, Zigarrenraucher. Der Oldtimersammler, der für die doppelte Staatsbürgerschaft unterschrieb. Der Schauspieler, der in dem Film „Der Kinnhaken“ (1962) von Heinz Thiel einen klassenbewussten Grenzsoldaten gab, der beim Mauerbau grad Dienst hat, andererseits in Frank Beyers „Tresorfilm“ „Spur der Steine“ als rebellischer Brigadier Balla ganz wunderbar gegen die bürokratischen Verkrustungen des Sozialismus opponiert. Die andren krugschen 60er-Filme sind schon ziemlich speziell.
Irgendwann völlig betrunken in der Nacht bei völlig betrunkenen Freunden im Osten Berlins Anfang der 90er-Jahre bekam ich eine Ahnung von dem, was Manfred Krug für die DDR bedeutet hatte. Wir hatten getrunken, und gegen Morgen hatte jemand diese Platte aufgelegt. „Es war nur ein Moment“ (1971) hieß sie, vielleicht war es auch „Ein Hauch von Frühling“ (1972). Die Plattenhülle sah jedenfalls gepflegt hippiemäßig und bunt aus, und der damals Anfang-30-Jährige sang schöne Sätze wie: „1. Mai – ich suche dein Gesicht / am Marx-Engels-Platz – ich find es nicht.“ Die zwei Light-Jazz-Platten, die Manfred Krugs Ruhm in der DDR begründeten, beeindruckten vor allem durch kunstsinnige Überladenheit; durch ein Zuviel an Geschmack, durch viel zu komplizierte Texte. Der Gegensatz zwischen dieser optimistischen, jungen, übertrieben deutlich artikulierenden Stimme und dem ganzen kulturvollen Brimborium aus anspruchsvoll sentimentalen Texten und Überorchestrierung beeindruckte sehr und schien diese ganze verschroben artig-scheiternde DDR-Mentalität widerzuspiegeln. Was Alexandra, Hildegard Knef oder auch Georges Moustaki für den Westen, schien Manfred Krug für den Osten gewesen zu sein. Gerade, weil seine Lieder auch ein bisschen peinlich waren, eigneten sie sich so gut für betrunkene Sentimentalitäten. Die Freunde tanzten jedenfalls Blues und heulten ein bisschen dabei. Die Tage scheiternder Liebesgeschichten am Marx-Engels-Platz waren längst schon vorbei und Krug – was des einen Biermann, war des anderen Krug – hatte die DDR, in der man ihn so viel heißer als im Westen liebte, ja eh 13 Jahre vor ihrem Ende verlassen und zerlegte zur gleichen Zeit und in Zusammenarbeit mit der „Aktion Sorgenkind“ einen T-34-Panzer in Bremen.
Nun hat „die Popikone des Sparkassentums“ (taz), der sentimentale Sänger mit den Schaufelbaggerhänden, im Doppelpack sozusagen gleich zwei CDs veröffentlicht, die er Anfang September in seiner Charlottenburger Stammkneipe „Diener“ vorstellte. Stolz darauf, zwei verfeindete Plattenfirmen (BMG, also die Amiga-Nachfolgefirma, und Warner Bros) zusammengeführt zu haben. Zigarre rauchend im hellblau-weiß gestreiften Hemd und buntem Liebling-Kreuzberg-Schlips gab Krug den, den man erwartet hatte. Draußen zu den Fotografen meinte er: „Ihr setzt euch für was Gutes ein. Nicht für so einen Schmutz, wie ihr ihn sonst immer aufnehmen müsst.“ Erklärte, dass er einen Borsalinohut trage und dass Borsalinohüte traditionell aus Schamhaaren junger Böckchen hergestellt würden und dass er die Produktionskosten der einen CD – 150.000 Mark – erst mal selbst übernommen hatte. Drinnen stand englisches Mineralwasser auf dem Tisch.
Für die eine CD hat er deutsche Schlager mit Evergreenqualitäten ausgesucht, nach denen man auch tanzen können sollte: Lieder, die er als kleiner Junge während des Kriegs gehört hatte – Bekanntes wie „Kann denn Liebe Sünde sein?“, oder „Bitte, bitte, küss mich“, aber auch längst vergessenes Schlagergut mit Helden zuweilen, deren Berufe längst schon ausgestorben sind („Liebe kleine Schaffnerin“). Auf der anderen CD „Schlafstörung“ interpretiert er internationale Klassiker von Astrud Gilberto über Dean Martin, von „Raindrops keep falling on my head“ über „What a wonderful world“ hin zu „What a difference a day makes“. Der Trompeter Till Brönner, der durch seine Zusammenarbeit mit Hildegard Knef berühmt geworden ist, hat dem Ganzen dann auch einen leicht Hildegard-Knef-mäßigen Touch gegeben, ergreifend schlicht und schön. Das Filmorchester Babelsberg ist mit dabei und ein alter Begleiter, der grauhaarige Saxofonist, Flötist, Klarinettist Friedhelm Schönfeld, der in den 80ern nach Kanada ausgewandert war, kam extra zurück, um wieder mit Manfred Krug Musik zu machen.
Von den Posen und Possenreißereien eines Harald Juhnke grenzte Krug sich ab. Während Juhnke sich mit dem Helden eines jeden Liedes, dass er singe, identifizieren würde, ist Krug auf höfliche Distanz bedacht. „Ich geb überhaupt nichts von mir preis“, sagt er und singt auch gerne Lieder, die ansonsten von Frauen interpretiert werden. Das macht er ganz besonders schön. Nachdem er als verlassene Frau so wehmütig „Bei dir war es immer so schön / und es fällt mir unsagbar schwer zu gehen“ gesungen hat, sind alle so verträumt, dass sie das Klatschen vergessen, und die Frau von der PR-Abteilung wippt dazu, und man tauscht ab und zu mit Kollegen so ein Grinsen zwischen mal hören und ojemineh aus, und Krug sagt: „Weil ich Mensch bin, bin ich auch Frau!“ oder „Ich bin ein richtiger Kitschboy. Ich bin stolz, wenn ich Streicher habe. Gott sei Dank, dass es Streicher gibt, die nicht aus Japan kommen.“ Oder beschwert sich leicht ironisch: „Dass ich so ein feinsinniger Mensch bin, hat keiner bemerkt, wegen meiner klodeckelgroßen Hände.“ Oder erzählt, dass er gern male, ganz rauschhaft, „das Werk muss in 10 Minuten geschaffen werden“, und er ziehe sich auch nackt beim Malen aus, zuweilen, und übermale seine Bilder, und er ist entschlossen, seine Werke nie öffentlich zu zeigen, im Gegensatz zu Udo Lindenberg; Björn Engholm malt ja auch. Oder seine Frau.
Auf die Bühne will Krug nicht mehr. Da reicht die Kraft nicht mehr aus, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. 1997, nach dem Tod seines Freundes Jurek Becker, hatte er einen Schlaganfall erlitten, und sein rechtes Bein ist ein bisschen behindert. Dem Ansinnen, eine Bilanz nach zehn Jahren Einheit zu ziehen, verweigert er sich auf sympathische Weise – „man muss den Politikern nicht alles zufeiern“ – und erzählt von der lächerlichen Anfrage des Tagesspiegel, der ihn wie viele andere Promis gefragt habe, ob er nicht mit einer Deutschlandfahne posieren wolle. Er könne mit der Fahne machen, was er wolle. „Bei der Sorte von Mumpitzhaftigkeit sind wir angekommen . . .“
Beim Büffet sprachen wir über die Puhdys; über Harry Jeske, der nach Indonesien gegangen ist und dort Möbel herstellt, und über ein Konzert, das die DDR-Vorzeigerocker neulich im Wuppertaler Knast gegeben hatten, um das zwanzigjährige Jubiläum ihres Songs „Doch die Gitter schweigen“ zu begehen. Das Irre dabei war, dass sie aus Feigheit wohl das Lied gar nicht gespielt haben.
Am Ende der Pressebegegnung mit Manfred Krug saß der Held an einem Tisch vor seiner Charlottenburger Stammkneipe „Diener“ und plauderte mit Bekannten. Die Gelegenheit war günstig, ihn um ein Autogramm zu bitten. Mein erstes Autogramm! Krug fragte, wem er das Autogramm widmen solle, und mir fielen erst später einige ein, die sich wie ich über ein Manne-Krug-Autogramm freuen würden. Meine Mutter zum Beispiel.
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