piwik no script img

Erfahrener Debütant

■ Artur Becker liest heute in der Stadtwaage

In diesen Tagen erscheint bei Hoffmann & Campe Artur Beckers zweiter Roman. Das ist sein fünftes Buch insgesamt. Trotzdem liest er heute aus einem frisch erschienenen Gedichtband, der unter „Bremer Debüt“ firmiert. Paradox? Ja und nein. Denn die von nun an erscheinende Reihe von „Bremer Debüts“ ist Bestandteil des neu konzipierten Autorenstipendiums. Und da hat man sich gedacht, dass eine „selbstständige Veröffentlichung“ in einem „ordentlichen Verlag“ durchaus hilfreich sein kann, wenn man sich im Literaturbetrieb seinen Platz erobern will.

Nun kann man darüber spekulieren, ob Texte zwischen zwei Buchdeckeln auch kein Buch sein können. Doch haben der junge Verleger Hermann Schünemann und Bernd Gosau, Lektor, Vorsitzender des Literaturkontors und stets um Nachwuchsförderung bemüht, recht. Ein „ordentlicher Verlag“ mag schon von Vorteil sein. Und wenn es weitergeht, wie Beckers „Dame mit dem Hermelin“ verspricht, mag es gelingen, eine Reihe von Büchern zu produzieren, die von BremerInnen für BremerInnen gemacht sind – und trotzdem keine Bremensien.

„Dame mit dem Hermelin“ ist eines der europäischsten Bücher, das die Hansestadt hervorgebracht hat. Der 1968 in Masuren geborene Autor beschreibt eine „mental map“ Europas am Ende des 20. Jahrhunderts. Das Café Europejska in Krakau und der Regionalexpress nach Verden sind nur einen Milchkaffee voneinander entfernt. Reale Reisen und Wunschbilder stehen nebeneinander in einem flaneurhaften Vielerlei. Beckers Bild vom Kontinent, von den Menschen (und von der Religion, die in vielen seiner Gedichte einen Mittelplatz einnimmt) changiert zwischen der Leichtigkeit der Cafés und einem Skeptizismus von dort, wo man lernt „Klassenarbeiten über die Metaphysik / zu schreiben“.

Ein Punkt, zu dem Becker immer wieder zurückschweift, ist Krakau. Im dortigen Czartoryski-Museum hängt das Gemälde da Vincis, das dem Band den Titel gibt. „Dein Augenblick reicht / Für alle Schöpfer / Des Ganzen Leonardo“. Dreh- und Angelpunkt ist oft das Jahr 1990. Kritisch wandert der Blick in den Gedichten auf das, was war – wie auch auf das, was kam. Das „koschere Kazimierz“ zum Beispiel oder „Die Maskeraden / Die fliegenden Kreuze / In den Geschäften mit den religiösen Waren“.

Auch wenn sie die klassische Erbaulichkeit verweigern, verbinden sie Tradition und Gegenwart. Inhaltlich wie stilistisch. Passend für den ersten Band einer Reihe, in der einer der ältesten Bremer Verlage zur Literatur zurückfindet.

Tim Schomacker

Heute, 20 Uhr, Stadtwaage

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen