: „Problem erkannt, aber noch nicht gelöst“
Wolfgang Wieland (52), Fraktionsältester bei den Berliner Grünen, über biologische Prozesse und Nachwuchssorgen, über rote Konkurrenz und schwarz-grüne Kooperation, über Stimmenverluste im Osten und Bedeutungsverlust in den Innenstadtbezirken: „Das Nachdenken ist in vollem Gange“
Interview RALPH BOLLMANN
taz: Herr Wieland, Ihre Kolleginnen Michaele Schreyer und Renate Künast sind längst aus der Berliner Landespolitik geflüchtet. Wie lange wollen Sie noch ausharren?
Wolfgang Wieland: Ich bin für diese Legislaturperiode gewählt, und ich werde sie sicher ausfüllen. Den Eindruck, dass die Grünen auf Landesebene ausbluten, habe ich nicht. Im Gegenteil: Gerade das Aufrücken von Renate Künast in die Bundesspitze stärkt uns.
Schaffen Sie es noch, Senator zu werden?
Das ist nicht mein vordringliches Ziel. Natürlich leidet man darunter, wenn man zusehen muss, was alles falsch gemacht wird. Dennoch: Auch die Oppositionstätigkeit kann zu Erfolgen führen – wie zuletzt bei der Auflösung des Verfassungsschutzes.
Sie betonen die Freuden der Opposition. Rechnen Sie gar nicht mehr damit, an die Regierung zu kommen?
Falsch interpretiert. Ich wollte nur dem Eindruck eines frustrierten Daueroppositionellen entgegenwirken. Natürlich wollen wir den Senat so schnell wie möglich ablösen. Ich glaube zwar nicht an den angeblichen Geheimplan der SPD für Neuwahlen im Jahr 2002 – aber wenn es ihn gäbe, wäre es ein guter Plan. Doch die SPD konnte sich schon 1998 nicht dazu entschließen.
Was wäre aus Sicht der Grünen mit vorzeitigen Neuwahlen gewonnen? Nur wenn sich die Stimmenzahl der SPD verdoppelt, reicht es für Rot-Grün. Müssen Sie nicht über andere Optionen nachdenken?
Dieses Nachdenken ist in vollem Gange. Für uns heißt das: grünes Profil schärfen. Und die SPD käme durch die Koppelung mit der Bundestagswahl immerhin aus ihrem 20-Prozent-Turm heraus, weil die Menschen dann auf Gerhard Schröder schauen und nicht auf Frau Schöttler oder Herrn Böger.
Oder auf Gregor Gysi als Spitzendenkandidaten der PDS.
Gegen Gysi könnte Landowsky den allerletzten „Freiheits oder Sozialismus“-Wahlkampf führen. Die SPD und wir hätten unter dieser Polarisierung zu leiden. Gysi als Spitzenkandidat – das mag ein schönes Medienthema sein, aber es würde in die vierte Auflage der Großen Koalition münden.
Ohne die PDS wird es für Rot-Grün kaum reichen. Ist es attraktiv, das dritte Rad an einem rot-roten Tandem zu sein?
Es ist nicht sehr komfortabel, als Schmiermittel zwischen SPD und PDS zu fungieren. Unsere Kollegen in Sachsen-Anhalt waren am Schluss die Zerriebenen. Die Große Koalition bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag ist aber erst recht eine Perspektive, die keinen mehr vom Hocker reißt.
Wenn das so ist: Müssen Sie dann nicht auch über Schwarz-Grün nachdenken?
Der Brief, den uns der CDU-Generalsekretär schreiben will, ist bis heute bei niemandem eingegangen. Offenbar findet Ingo Schmitt das Porto nicht.
Es gibt in der Berliner CDU nicht nur Ingo Schmitt. Es gibt auch Politiker, die ernsthaft über schwarz-grüne Perspektiven reden wollen.
Wir haben nicht schroff nein gesagt – vor allem nicht zu den Avancen der Jüngeren, der Generation nach Landowsky und Diepgen. Diese Gruppe steht uns auf etlichen Politikfeldern durchaus nahe. Aber in Fragen wie dem Umgang mit dem Rechtsextremismus und der Behandlung von Menschen nichtdeutscher Herkunft trennen uns von der CDU Welten.
Sie betonen das Trennende.
Man könnte auf anderen Feldern leichter zu einer Einigung kommen. Eine Haushaltskonsolidierung wollen wir auch. Auch auf dem Gebiet der Kulturpolitik könnte man sich verständigen. Bei der Ökologie gäbe es wohl erheblichen Zoff, auch im Bereich Inneres. Hier geht es um unsere Gründungsessentials, die wir noch nicht für erledigt halten. Da zeichnet sich mit der Generation um Diepgen und Landowsky keine Einigung ab.
Was für die Stadt sinnvoll wäre, wird also durch die Befindlichkeiten eines Klaus-Rüdiger Landowsky oder Wolfgang Wieland blockiert?
Es geht hier nicht um Partisanenfolklore. Wenn es dem Wohl der Stadt dient, trete ich gemeinsam mit Landowsky zurück.
Das Beharren auf den grünen Urthemen hat dazu geführt, dass Sie nur noch als lustfeindliche Verhinderer wahrgenommen wurden.
Zugegeben, wir haben die Tendenz zum erhobenen Zeigefinger – möglicherweise auch wegen der vielen Lehrerinnen und Lehrer in unseren Reihen. Das Problem ist erkannt, damit ist es noch nicht gelöst. Seit der Wahlniederlage diskutieren wir mehr als jede andere Partei die Frage: Wie viel vom Alten gilt es zu verteidigen? Deshalb führen wir eine Diskussion um den Metropolenbegriff, auch im Internet.
Dort finden sich fast nur die Beiträge der Parteispitze. Die Basis interessiert sich für die Debatte offenbar kaum.
Das wird sicherlich zunehmen.
Trotzdem bleibt der Eindruck hängen: Anders als in den Achtzigern setzen die Grünen nicht mehr die Themen, sondern sie vollziehen mühsam nach, was sich in der Gesellschaft längst geändert hat.
Unser Gründungsthema Ökologie ist noch nicht erledigt. Der viel verspottete Atomausstieg muss erst noch kommen. Wer hat für die neuen Themen denn bessere Lösungen? Und dass die junge Generation keinen Bock mehr darauf hat, sich in Versammlungen den Hintern breit zu sitzen, ist kein speziell grünes Problem.
Genau das ist der Punkt: Sie kämpfen heute mit den Problemen aller etablierten Parteien. Ein Neuankömmling gerät zwischen die erstarrten Fronten – nicht anders als im Ortsverein von SPD oder CDU.
So ist es. Das törnt ab. Es ist zu hausbacken, eine Bezirksgruppenarbeit zu machen wie seit 20 Jahren. Aber in den vergangenen Jahren sind viele Junge bei uns eingetreten. Wir müssen diese Power aufnehmen und nach vorne wirken lassen.
In ihrer Außenwirkung wird die Partei immer noch von der Gründergeneration geprägt. In Berlin ist nach einer kurzen Experimentierphase der Versuch gescheitert, die Fraktionsspitze zu verjüngen. Sind die Grünen eine Ein-Generationen-Partei?
Das ist ein falsches Bild. Richtig ist: Diejenigen, die mit 30 die Grünen gegründet haben, sind jetzt um die 50. Das ist ein biologischer Prozess. Gleichwohl sind junge Politikerinnen und Politiker nachgewachsen. Mit Klaus Müller in Schleswig-Holstein haben wir den jüngsten Minister.
Wir reden hier über Berlin.
Das jüngste Mitglied unseres Fraktionsvorstands ist 39, das älteste 52. Ich finde das nicht schrecklich alt.
Es geht nicht um das biologische Alter, sondern um die Frage: Wie lange sind dieselben Leute schon dabei?
Diesen Vorwurf kann man allenfalls mir machen. Michael Cramer ist zum erstenmal überhaupt in den Fraktionsvorstand gewählt worden. 52 ist bei uns noch nicht das definierte Rentenalter. Herr Diepgen und Herr Landowsky sind sechs bis acht Jahre älter – auch wenn sie immer sagen, die Grünen haben Moos angesetzt.
Wir reden hier nicht über die CDU.
Ich habe nicht so getan, als ob ich als Jüngling antrete. Völlig entgegen meiner eigentlichen Planung habe ich im Juni gesagt, ich mache das noch mal. Damit es über die Fraktion nicht heißt: Das ist ein Hühnerhaufen, und keiner weiß, wo’s langgeht.
Haben Sie Nachfolger aufgebaut, die die Fraktion in naher Zukunft übernehmen können – ohne dass der Eindruck des „Hühnerhaufens“ entsteht?
Die neue Fraktion musste sich erst finden. Sie musste eine herbe Wahlniederlage verdauen. Es gab die Krise auf Bundesebene. Deswegen haben wir uns für die nächsten zwei Jahre zu einer Konzentration der personellen Kräfte entschieden.
Das schlechte Wahlergebnis hing vor allem mit Ihrem Abschneiden im Osten zusammen. Nach dem Fall der Mauer haben Sie dagegen gekämpft, dass die Oberbaumbrücke oder Straßen ins Umland wieder geöffnet werden. Haben die Grünen ihr Verhältnis zum Osten noch nicht gefunden?
Die Oberbaumbrücke halte ich für ein falsches Beispiel. Das ist eher eine Frage der Kreuzberger Kiezverliebtheit. Das Problem ist: Das grüne Milieu im Osten entwickelt sich sehr langsam.
Von „entwickeln“ kann keine Rede sein. Wo es keinen massenhaften Zuzug aus dem Westen gab, haben sich Ihre Wahlergebnisse 1999 halbiert.
Ich gebe zu: Der Prozess des Abbröckelns war zunächst stärker als das Nachwachsen von Wählerpotenzial.
Im Moment deutet alles darauf hin, dass sich in Ostberlin das typisch ostdeutsche Dreiparteiensystem entwickelt.
Das sehe ich in Berlin gerade nicht so. Wir haben hier kein Ost-West-Problem, sondern den Gegensatz von Innenstadt und Trabantenstadt. Unsereiner zieht eben nicht nach Marzahn oder ins Märkische Viertel.
Grüne Hochburgen in der Innenstadt werden durch die Bezirksreform eingeebnet. Sie verlieren Ihre drei Bürgermeisterposten – und damit Ihre kommunalpolitische Sichtbarkeit.
Es war politisch gewollt, dass mit dem neuen Bezirkszuschnitt grüne Hochburgen geschliffen wurden. Wir konnten das nicht verhindern. Es war in der Partei eine ganz einhellige Meinung, dass man sich die Zustimmung zu einer schlechten Reform nicht für parteiegoistische Vorteile abkaufen lässt.
War das ein Fehler?
Ich hätte es anders gemacht. Auch in Kreuzberg-Friedrichshain wäre mehr zu erreichen gewesen. Da haben unsere Leute zu schnell das Umschwenken der SPD zur PDS akzeptiert, um das Bauressort für uns zu retten. Das ist eine ehrenwerte Überlegung, die aber die Symbolik eines grünen Bürgermeisters nicht sieht. Ich meine nach wie vor: Franz Schulz sollte als Bürgermeister des Fusionsbezirks antreten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen