: Das Wunder der Toilettengruben
Familienmythologie, Parabel und uralte Legende: Der tadschikische Film „Der Flug der Biene“ von Djamshed Usmonov und Min Wen Hun erzählt von merkwürdigen Dorfzwisten und vom Starrsinn eines aufmüpfigen Lehrers
Der 1965 geborene Regisseur Djamshed Usmonov stammt aus der ehemaligen Sowjetrepublik Tadschikistan. Er studierte Film in Moskau und lebt nun in Paris. Seine bisherigen drei Filme spielen in seinem Heimatort Ascht, einem über 3.000 Jahre alten Bergdorf, wo seine Familie schon immer lebte und er „jeden Stein und jeden Baum“ kennt: „Ein Regisseur sollte nur über das erzählen, was er kennt“, meint er. Für seinen neuen Film „Der Flug der Biene“ nahm er eine koreanische Kofinanzierung in Anspruch. Dafür musste er jedoch den Regisseur Min Wen Hun in Kauf nehmen, mit dem er sich dann aber sehr gut verstand.
Es geht um einen Dorflehrer, der jetzt in der neuen Zeit nicht mehr genug verdient, um Frau und Kind zu ernähren. Er schreibt zudem an einem Buch, das niemand veröffentlichen will – statt sich um seinen bäuerlichen Nebenerwerb zu kümmern. Aus seinem Nachbar ist inzwischen ein reicher Agrar-Händler geworden, der sich sogar Angestellte leisten kann. Heimlich beobachtet dieser – von seiner Toilettengrube aus – die Frau des Lehrers. Als ihn der Lehrer zur Rede stellen will, lässt er ihn durch seine Leibwächter rausschmeißen. Der Lehrer beschwert sich beim Bürgermeister, dem das Privateigentum quasi heilig ist, obwohl er noch unter einem gewebten Lenin sitzt.
Doch der Lehrer ist ein eigensinniger Mann, er legt sich mit dem Bürgermeister an, und die Situation im Dorf eskaliert – bis ein Polizist den kleinen Sohn des Lehrers auf Weisung des Bürgermeisters festnimmt. Der Lehrer nimmt sogar dessen Heimeinweisung in Kauf, um den Bau einer eigenen Toilettengrube auf seinem Grundstück – direkt neben dem Haus des Bürgermeisters – durchzusetzen. Irgendwie kommt aber alles wieder ins Lot. Auch der Stein des Anstoßes – die immer tiefer werdende Toilettengrube – ist am Ende verschwunden: In der Grube sprudelt eine Quelle, und aus der Quelle wird wunderbarerweise ein Brunnen.
Regisseur Djamshed Usmonov sagt über sein Sujet: „Diese Geschichte hat vor mehr als 100 Jahren mein Großvater erlebt, sie ist Teil unserer Familienmythologie.“ Diesen Rahmen hat er mit einer anderen Geschichte erweitert, die der Lehrer im Film seinen Schülern erzählt. Sie basiert auf einer persisch-tadschikischen Dichtung über die Weisheiten Alexanders des Großen und handelt davon, wie eine Biene einmal Wasser fand. Diese Legenden über Alexander von Makedonien sind „kanonbildend in Tadschikistan“, meint Usmonov, der mit einer alten Kamera und sowjetischem Negativ-Material drehte.
Sein stilsicherer Sinn für persische Bild-Ornamentik ist Djamshed Usmonov wahrscheinlich in die Wiege gesungen worden, vielleicht hat Min Wen Hun mit koreanischer Strenge dann sogar noch die letzten Arabesken daraus entfernt. Wundern würde es mich nicht, ich kenne jedoch bisher nur diesen einen Film von Djamshed Usmonov, der ihn selbst ziemlich treffend als „einfach, ruhig und sanft“ bezeichnet.
Mich erinnerte er gleichzeitig an den sowjetischen Film „Der erste Lehrer“, zugleich der erste kirgisische Film überhaupt. Das Drehbuch schrieb seinerzeit Tschingis Aitmatow. Es geht darin um einen gerade erst aus dem Krieg heimgekehrten Rotarmisten, der in seinem kirgisischen Dorf als kommunistischer Lehrer allein die große proletarische Revolution verkörpern muss.
Übrigens war dieser erste Lehrer damals mindestens so eigensinnig wie dieser letzte tadschikische Lehrer heute – in der wieder neuen Zeit. HELMUT HÖGE
„Der Flug der Biene“. Regie: Djamshed Usmonov, Min Wen Hung. Tadschikistan/Korea, 90 Min.
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