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Eine Welt ohne Gott und Schuldirektor

Haben sie sich verändert? Natürlich nicht! In Stuttgart starteten AC/DC, die letzten großen Primitiven des Rock ’n’ Roll, zu ihrer aktuellen Deutschlandtour mit kopulierenden Antilopen auf der Großbild-Leinwand, Angus Young in der immer gleichen Schuluniform und Musik für den Mofarocker in uns allen

Das Faszinierende an AC/DC ist ihre Vordergründigkeit. Mit uneigentlichem Sprechen haben sie es nicht so

von OLIVER FUCHS

Auf dem Schild am Eingang steht: „Wir möchten das Publikum darauf hinweisen, dass es sich einer erheblichen Lautstärke aussetzt (Pyrotechnik).“ Die Besucher, die eine Menge Geld dafür bezahlt haben, dass sie sich gleich einer erheblichen Lautstärke aussetzen dürfen, schauen kurz drauf, freuen sich und treten ein. In der Halle laufen die Stones vom Band, „Honky-Tonk Woman“, es gibt sauber gefegte Gänge, Tribünen A bis D und Würstlbuden. Und Bandenwerbung. Für Gourmetsäfte, Versicherungen und den „ADAC – Ihr sympathischer Partner“. Alles Dinge, die AC/DC vermutlich für ziemlich überflüssig halten. In der Stuttgarter Hanns-Martin-Schleyer-Halle gibt es nomalerweise Eishockey und Sechs-Tage-Radrennen zu sehen. Dinge, die AC/DC vermutlich auch für ziemlich überflüssig halten. Wozu braucht man Radrennen, wenn man Rock ’n’ Roll hat?

Die Schleyer-Halle ist eine Multifunktionshalle, früher hätte man Mehrzweckhalle dazu gesagt. Das Wort ist womöglich so alt wie die Band, die an diesem Abend auftritt. Runde dreißig Jahre. Mit ihrem 17. Album „Stiff Upper Lip“ sind sie wieder so erfolgreich wie in ihren besten Tagen Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre. In Spanien wurde gerade eine Straße nach ihnen benannt, Joschka Fischer und Arnold Schwarzenegger zählen zu den Fans. Die Dinge stehen gut für die Dinosaurier, die letzten großen Primitiven des Rock ’n’ Roll. Im Konzert gibt es von der ersten Minute an sturen und geraden Rock in erheblicher Lautstärke. Logisch, es geht ja niemand zu AC/DC, um komplexe Akkordfolgen zu hören. Jeder Gitarrenschüler sagt sich nach der dritten Stunde, das kann ich besser, und es stimmt ja auch. Hier werden die Gitarren einfach wie zusätzliche Schlagzeuge behandelt. Angus Young trägt wie immer seine Schuluniform mit kurzen Hosen, er bewegt sich in dieser seltsamen Gangart, die zu AC/DC gehört wie der zackig-metallische Schriftzug: Knie zusammen, ein Bein am Boden, der Rumpf vornüber gebeugt. Es sieht aus wie ein kunstvoll in die Länge gezogenes Stolpern.

Die einfach strukturierte musikalische Darbietung wird flankiert von Videoprojektionen. Auf der Leinwand sieht man kopulierende Antilopen und Angus Young, wie er hübsche Frauen mit einem Gartenschlauch nassspritzt. Was eigentlich nicht nötig wäre, weil die Frauen ohnehin schon recht durchsichtige Minikleider tragen. Man kann das lustig finden oder nicht, jedenfalls ist es mitnichten Altherrenhumor wie bei den Stones oder Aerosmith, sondern jene Sorte Witzigkeit, die tief in den Wonnen und Wundern der männlichen Pubertät wurzelt. Die Rebellion beschränkt sich bei den Fünfzigjährigen auf der Bühne nach wie vor darauf, Mädchen unter die Röcke zu schauen und heimlich auf der Schultoilette zu rauchen.

Aber was heißt da „beschränkt“? Sind das nicht irgendwie ewige Themen?

Das Faszinierende an AC/DC ist selbstverständlich ihre komplette Vordergründigkeit, das Fehlen jeder Transzendenz. In ihrer Welt gibt es nicht nur keinen Gott, es gibt auch keinen Hausmeister oder Schuldirektor, der mal nach dem Rechten sieht. Sie wollten nie die Welt verändern, den Kanzler stürzen oder wie viele Heavy-Metal-Kollegen einen Pakt mit dem Teufel schließen. Sinn und Ziel und Zweck von AC/DC ist allein AC/DC. Musik für den Mofa-Rocker in uns allen. Das ist doch prima.

Auch mit uneigentlichem Sprechen oder gar Metaphorik haben sie’s nicht so. Bei „Hell’s Bells“ senkt sich eine gusseiserne Glocke in den Zuschauerraum, bei „Whole Lotta Rosie“ tritt eine haushohe, luftgefüllte Puppe auf die Bühne, besagte Rosie eben, natürlich mit Straps. Bei „Highway to Hell“ entfachen sie ein echtes Höllenfeuer, der Pyrotechniker macht’s möglich. Indem sie alles, was sie versprechen oder behaupten, direkt einlösen, weisen sie auf einen Missstand bei anderen Rocksongs, anderen Glücksversprechen hin: Dass man meist bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf die Erfüllung wartet!

Und jetzt die Frage: Haben sie sich weiterentwickelt? Natürlich nicht! Die Welt hat sich verändert in dreißig Jahren, doch der strecken sie unverändert ihren nackten Arsch entgegen. Vom Handy direkt ins Internet? Du kannst mich! 1,5-Liter-Autos? Bleib mir weg! Berliner Republik? Who the fuck is Joschka Fischer . . .

Als Zugabe feuern sie aus Kanonenrohren in Richtung Publikum. So eine Band ist das.

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