: Uncoole Bilder
Hamburger Häftlinge stellen Knastansichten aus, um Kids vor dem Gefängnis zu bewahren ■ Von Kathrin Dietzel
Hin und wieder Partys und knallende Sektkorken oder wilde Liebesabenteuer hinter Gittern – der Alltag im Frauengefängnis der gleichnamigen RTL-Fernsehserie scheint zwar nicht paradiesisch, aber auch nicht wirklich das Gegenteil zu sein. Ähnliche Eindrü-cke suggeriert die Vorabend-Soap „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ in dieser Darstellung: Ein Häftling darf jeden Tag Besuch von seiner Freundin empfangen und beide können ungestört miteinander reden – ohne die Anwesenheit eines Beamten. Faruk Süren weiß, dass die Wirklichkeit anders aussieht.
„Durch die Medien wird ein völlig falsches Bild des Knastalltags vermittelt, und die Leute draußen glauben diesen Schwachsinn“, empört sich der Initiator des Hamburger Projekts „Gefangene helfen Jugendlichen“ (GhJ), der selbst eine sechsjährige Haftstrafe in „Santa Fu“ abgesessen hat. 1996 hatte Süren die Idee, gefährdete oder kriminell auffällig gewordene Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren direkt mit dem realistischen Knastalltag zu konfrontieren. Nach beinahe drei Jahren, im März 99, konnte er sich schließlich gegen Anstaltsleitung und Justizbehörde mit seinem Projekt durchsetzen.
„Knast ist nicht cool“ heißt folgerichtig die aus dem Projekt hervorgegangene Ausstellung im Anbau des Ziviljustizgebäudes am Sievekingplatz. Häftlinge aus Hamburger Gefängnissen stellen hier seit Dienstag Bilder und Skulpturen aus mit der Absicht, ihr Leben hinter Gittern , wie es wirklich ist. Vor allem Jugendlichen wollen sie die Konsequenzen krimineller Handlungen und die daraus folgende Perspektivlosigkeit aufzeigen.
Zu jedem der Werke kann Faruk Süren eine Geschichte erzählen, zum Beispiel über die maßstabsgetreu angefertigte Miniatur-Gefängniszelle. Das Objekt gefiel dem Anstaltsleiter so gut, dass er es behalten wollte. Erst nach langem Hin und Her und unter der Bedingung, eine Kopie anzufertigen, bekam der Häftling die Erlaubnis, mit seiner „Zelle“ an der Ausstellung teilzunehmen.
Ein häufiges Thema der Bilder ist die Darstellung des Gegensatzes „Drinnen – Draußen“. So etwa die Innenansicht einer Gefängniszelle, die nur ein kleines Fenster hat – das Bild ist düster, lediglich der kleine Ausschnitt der Freiheit leuchtet in bunten Farben.
Er wolle mit der Ausstellung kein Mitleid erwecken, betont Süren. Sein Ziel ist erreicht, wenn er nach der Ausstellung von den Besuchern hört: „So schrecklich hätte ich mir das Gefängnis nicht vorgestellt – da will ich nie rein!“
Die gleiche Wirkung soll der Knastbesuch in „Santa Fu“, wo das GhJ-Projekt entstand, auf die Jugendlichen haben. Viele haben bereits Delikte begangen, ahnen jedoch nicht die Ausmaße einer Bestrafung nach dem Erwachsenenstrafrecht. Um die zu verdeutlichen, macht Süren zweimal im Monat Gefängnis-Rundgänge mit kleinen Gruppen. „Der Besuch soll aufklären und vor allem abschrecken“, erklärt er, „oft ist unser Projekt die gelbe Karte für die Jugendlichen.“
Weggeschlossen sein ohne Ausweichmöglichkeit – wie das ist, können sie am eigenen Leibe erfahren, wenn sie für kurze Zeit zu zweit oder zu dritt probeweise in einer Gefängniszelle eingesperrt werden. Die Toilette steht – ohne Sichtschutz – mitten im Raum, und wer einen Blick aus dem Fenster werfen will, muss auf einen Stuhl steigen. Gemeinsam mit den noch inhaftierten Mitgliedern des Projekts sehen die jungen Besucher in authentischer Umgebung dann die Videodokumentation „Ein Tag im Leben eines Strafgefangenen“. Am Ende ein Gespräch unter vier Augen mit einem Häftling. „So entsteht ein Vertrauensverhältnis und häufig öffnen sich die jungen Leute im Gespräch“, sagt Süren.
Über 150 Jugendliche haben seit Entstehung des GhJ-Projekts das Gefängnis „Santa Fu“ life erlebt. Diese selbst zu Wort kommen lassen, das will Faruk Süren allerdings nicht – denn in der Zeitung stehen, weil man im Knast war, das wäre ja schon wieder cool.
Bis zum 1.12., Mo. - Fr. von 9-21 Uhr, Sa. von 8-14 Uhr in der Grundbuchhalle des Ziviljustizgebäudes, Sievekingplatz 1. Di. und Fr. Führungen von 10-12 Uhr. Spendenkonto: Jugendhilfe e.V., Stichwort: Gefangene helfen Jugendlichen, Haspa: 20050550, Kontonr.: 1234/300 000
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen