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Ein Hamburger Kino-Geburtstag

Die Chance, die niemand hat, ergriff 1970 das Abaton-Kino  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

„Andy Warhol, auch Gast des Hamburger Senats, schaffte es nur nach Paris. Dort strandete er in einem Hotelbett und versäumte die Abaton-Eröffnung. Aber Bridgit Polk, die Chefin seiner Warhol-Factory, ließ sich von dem Stoff in Paris nicht beeindrucken und schaffte es 'in time'. Das Kino fand sie super, aber das Büro zu ärmlich und zu kahl. Sie knöpfte ihre Bluse auf, nahm ein grünes Stempelkissen, drückte es auf ihren wundervollen, großen Busen und stempelte damit die Wand des Abaton-Büros.“ (Abaton-Programm vor fünf Jahren). Von der Ausgeflipptheit jener frühen Tage ist nur noch wenig zu merken, betritt man dieser Tage das Kino am Allendeplatz, damals von Melle-Park. Obwohl es nicht Teil einer größeren Kinokette geworden ist, hat sich das Abaton in der Hamburger Lichtspielhaus-Landschaft einen festen und unumstrittenen Platz errungen. Wie selbstverständlich trägt es seinen Ruf als Abspielstätte „anspruchsvoller“ Filme: Erstaufführungen, Originalfassungen, Filme kleinerer Verleihe und cineastische Aushebungen. Den Titel „Programmkino“ trägt das Abaton inzwischen allerdings nur noch bedingt zu Recht.

Die Eröffnung 1970 war das Ergebnis eines länger andauernden Unmuts einiger Hamburger FilmemacherInnen, die ihre Filme auch auf der Leinwand gezeigt sehen wollten. Werner Grassmann, bis heute Leiter des Kinos, hängte damals seine eigene Filmproduktion für das Projekt an den Nagel. In dem Rechtsanwalt Dr. Winfried Fedder, der der französischen Nouvelle Vague und dem italienischen Neorealismus eine größere Präsenz in Deutschland verschaffen wollte, fand er den geeigneten Partner.

Da die Verleihfirmen ihre Konditionen von erwarteten Kinokassen-Einnahmen und von der Garantie einer länger währenden Aufführungszeit abhängig machen, gründete sich bald darauf die AG Kino: In bester Independent-Manier strebte der Zusammenschluss von Programmkinos aus München, Berlin, Bremen, Oldenburg, Köln und Hamburg 1972 sogar die Gründung eines eigenen Verleihs an. In erster Linie aber konnte man gemeinsam gegenüber den Verleihern mit der Garantie auftreten, einen Film nacheinander an unterschiedlichen Orten laufen zu lassen und derart die geforderten Beträge einzuspielen. Die im Gegensatz zu anderen Kinos begrenzte Anzahl an Spielwochen ergibt sich vor allem aus diesem „Tingeln“ der in kleinen Auflagen erstellten Kopien.

Heute tritt das Abaton gegenüber den Verleihern längst mit einer Mischform auf: Einige Filme laufen nach wie vor an zuvor festgelegten Tagen, den Großteil seines Programms bestreitet es aber wie viele andere, etwa die UFA-Kinos, auch: Je nach Nachfrage beim Publikum wird eine Kopie länger oder kürzer zur Aufführung gebracht – daher die von vielen verfluchte allmonatliche Verwirrung beim Lesen des Programmheftes, welche der für einen Tag dort aufgeführten Filme denn wirklich laufen.

Zu seinem diesjährigen Jubliläum gibt es nun endlich auch einen Film zum Kino, die Abaton-Saga. Christian Bau und Werner Grassmann selbst haben die fünfzigminütige Dokumentation mit ironischem Duktus aus 30 Jahren Geschichte destilliert. Mit weiteren Filmen ruft das Kino am kommenden Sonntag seine Bedeutung in Erinnerung. Heute mag man für selbstverständlich oder wahlweise für nervtötend halten, dass etwa Harold and Maude oder Viscontis Tod in Venedig regelmäßig auf deutsche Leinwände wandern. Zur Zeit ihrer Entstehung aber war es vor allem der Harnäckigkeit der Programmkinos zu verdanken, dass sie hierzulande überhaupt ein Publikum fanden.

Mit Pourquoi pas! etwa ging das Abaton 1977 ein echtes Risiko ein: Colline Serreau schildert darin, wie eine Dreiecksbeziehung zwischen einem bisexuellen Paar und einer jungen Frau durch eine weitere Person erschüttert wird. Und Gabor Altorjays in Hamburg gedrehter Film Tscherwonez über den russischen Matrosen Dimitri, der in St. Pauli nach seinem Bruder fahndet – dabei von deutschen und sowjetischen Geheimdienstlern verfolgt – wurde seinerzeit sogar in den Büroräumen des Abaton produziert.

Geburtstagsprogramm am Sonntag: Pourqoui pas! + Harold and Maude + Tod in Venedig, 11 Uhr; Mikrokosmos: 13.30 Uhr; Ronja Räubertochter, 15 Uhr; Tscherwonez (Gäste: Gabor Altorjay und Werner Grassmann), 17.30; Die Abaton-Saga, 20.30 Uhr; Geburtstags-Sneak + Down by Law, 22.30 Uhr, Abaton

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