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Wählen für die Unabhängigkeit

aus Priština ERICH RATHFELDER

„Wir brauchen keine Wahlplakate, wir wissen schon, was zu tun ist“, sagt Flora K. Während draußen vor allem das Konterfei Hashim Thacis, des ehemaligen Chefs der UÇK, prangt, weiß sie dennoch, wem sie am Wochenende bei den Kommunalwahlen ihre Stimme geben wird, auch wenn diese Partei keine Plakate klebt: Ibrahim Rugova und seiner „Demokratischen Liga Kosova“ (LDK).

Mališevo wird mit seiner zu 100 Prozent albanischen Bevölkerung als das Herz des Kosovo angesehen und von den Parteien besonders umworben. Das Städtchen war 1988 zum Zentrum der damaligen Befreiungsbewegung UÇK geworden. Die einstmals führende Partei der Kosovo-Albaner, die LDK des früheren Präsidenten des seit 1990 bestehenden Schattenstaates der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, spielte damals keine Rolle mehr. Der von ihm propagierte passive Widerstand, seine Opposition gegen den bewaffneten Kampf, wurde von der UÇK als Kollaboration mit den Serben angesehen. Kurz nach dem Einmarsch der Nato im Juni 1999 kamen auch die Anhänger der UÇK zurück. Konkurrenten konnten sie nicht gebrauchen. Die noch verbliebenen Anhänger Rugovas sahen sich Repressalien ausgesetzt. Diese Zeiten sind auch jetzt noch nicht ganz vorbei. Anschläge auf Büros der LDK und anderer konkurrierender Parteien zeigen dies.

Rugovas Rückkehr

Der öffentlichkeitsscheue und in seinem Haus verschanzte Rugova wartet ab. Und die Menschen kommen wieder auf den alten Führer zu. Die UÇK hat viele Fehler gemacht. Im Herbst 1999 wurden ihr nicht nur Terror gegenüber Minderheiten zur Last gelegt, auch ihr totalitärer Politikansatz und die nachdrücklichen Forderungen an die Bevölkerung, Steuern für die Organisation zu zahlen, haben viele Albaner verschreckt.

Zudem hat sich die UÇK nach ihrer Auflösung in mehrere Parteien gespalten: In die „Demokratische Partei von Kosova“ (PDK) unter Hashim Thaci, die „Allianz für die Zukunft von Kosova“ unter dem Kriegshelden Ramush Harandinaj, der Westkosovo „beherrscht“, und einer liberalen Gruppierung (PQLK) unter dem ehemaligen UÇK-Kommandeur Naim Maluko. Den anderen der 25 zur Wahl angetretenen Parteien werden kaum mehr als lokale Chancen eingeräumt.

Für die albanische Bevölkerungsmehrheit sind die Wahlen am Wochenende eine neue Erfahrung. Seit der Aufhebung des Autonomiestatutes 1989 hat sie alle Wahlen für die Bundesrepublik Jugoslawien und für die Republik Serbien, zu der Kosovo bis heute gerechnet wird, boykottiert. Stattdessen wurden in den Jahren 1992 und 1998 Untergrundwahlen für ein Parlament und für die Präsidentschaft Kosovos organisiert. Doch angesichts der Repression der serbischen Staatsorgane blieben diese Wahlen lediglich Ausdruck der nationalen Selbstbehauptung, nicht jedoch Ausdruck einer demokratischen Entwicklung.

Für die internationale Gemeinschaft sind die Wahlen ein Test, ob die hoch gesteckten Ziele für die Demokratisierung nach dem Einmarsch der Nato-Truppen tatsächlich auch umgesetzt werden können. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurde schon im Sommer 1999 im Rahmen der UN-Mission im Kosovo (Unmik) damit betraut, die Wähler zu registrieren und damit die Wahlen möglich zu machen. Das war keine leichte Aufgabe: Denn seit 1981 hatte es keine Volkszählung mehr gegeben, die meisten Wählerregister des Kosovo waren zerstört, viele Kosovo-Albaner verfügten nicht mehr über Ausweise oder Pässe, weil sie ihnen von serbischer Seite während des Krieges 1998/99 abgenommen worden waren. In vielen Gemeinden waren die Akten verbrannt oder nach Serbien transportiert, auch Unterlagen der Katasterämter. Mit dem Beginn der Registrierung am 17. April behalf man sich. Wer über keinerlei Nachweis seiner Identität mehr verfügte, musste drei Zeugen beibringen, die seine Angaben bestätigten.

Im Vorfeld der Wahlen kam es von Seiten der Albaner zu Kritik an der OSZE und der Unmik. Wahlberechtigt sind nämlich nur jene, die am 1. Januar 1998 im Kosovo gelebt haben. Hunderttausende ins Ausland vertriebene Exil-Kosovaren fielen durch dieses Raster. Parteipolitisch ist dies zudem von Bedeutung, weil gerade diese Generation die UÇK unterstützt hat. Andererseits wurde zugesagt, dass die serbischen Flüchtlinge, unter ihnen im Kosovo tätige, aber aus Serbien stammende Polizisten und Staatsbedienstete wahlberechtigt sind.

Kritik an OSZE und UNMIK

Die albanischen Politiker aller Parteien hatten sich die Wahlen zudem zu einem früheren Zeitpunkt gewünscht. Einige vermuteten, die internationale Gemeinschaft wolle auf Zeit spielen und erst die politischen Entwicklungen in Serbien abwarten, bevor sie allgemeine Wahlen für die Parlamente zulässt; das heizte die Diskussion an.

Denn allen Beteiligten ist klar: Der erste Akt eines Kosovo-Parlamentes bestünde angesichts der großen albanischen Mehrheit in einem Votum für die Unabhängigkeit. An diesem Punkt sind sich alle kosovoalbanischen Parteien einig. Die internationale Gemeinschaft steht aber auf Grundlage der Resolution 1244 des Weltsicherheitsrates auf dem Standpunkt, Kosovo sei lediglich eine autonome Provinz in der Republik Serbien.

Die Kommunalwahlen von den Parlamentswahlen zu trennen wurde zwar mit den technischen Problemen der Wählerregistrierung begründet, es wurde sogar zugegeben, die Fehlerquote läge bei 20 Prozent, in Wirklichkeit jedoch geht es um große Politik. Ein demokratisch zustande gekommenes Votum der Albaner für die Unabhängigkeit soll hinausgeschoben werden, bis sich die Lage in Serbien geklärt hat.

Dahinter stand die Hoffnung, nach dem Sturz von Slobodan Milošević ergäben sich Verhandlungen zwischen beiden Seiten. Doch diese Sicht wird von den Albanern nicht geteilt. Koštunica ist in ihren Augen nur die andere Seite der gleichen Medaille: Die Serben hätten seit der Okkupation Kosovos 1912 unter allen Regimen – vom König bis zu den Kommunisten – die Kosovoalbaner unterdrückt. So spielte im Wahlkampf die Unabhängigkeit eine größere Rolle als die Probleme vor Ort.

Mit den Kommunal-, besser gesagt Distriktswahlen wird nach der Auflösung der UÇK-Verwaltungen im Januar 2000 eine Grundlage für den Aufbau einer demokratisch legitimierten Verwaltung gelegt. Bisher versuchte die UN-Mission die Gemeinden zu verwalten – sicherlich oftmals mit Erfolg, jedoch im Ganzen gesehen blieb diese Arbeit Stückwerk. Indem nun eigene Strukturen geschaffen werden, können Teile der Verwaltung in die Verantwortung vom Volk legitimierter Organe gelegt werden, die dann wiederum kontrolliert werden können.

Zudem wurde gegen den Widerstand der größten kosovoalbanischen Parteien, der LDK Rugovas und der PDK Hashim Thacis, von der OSZE das Verhältniswahlrecht durchgesetzt, das die Repräsentanz auch von Minderheiten in den Parlamenten sichert. Fast revolutionär für die Region ist die Frauenquote: 30 Prozent der Kandidaten aller Parteien müssen Frauen sein.

Bleibt noch ein Wermutstropfen: Indem die internationale Gemeinschaft mit der von Serben kontrollierten Region nördlich von Mitrovica einen eigenen Distrikt schuf – im Gegenzug wurde der von 100 Prozent Albanern bewohnte und von den Serben 1990 aufgelöste Distrikt Mališevo wiederhergestellt –, wurde der ethnischen und möglicherweise auch territorialen Trennung Vorschub geleistet.

Mit der Wahl Koštunicas zum neuen jugoslawischen Präsidenten jedoch entstehen noch andere Probleme. Was ist, wenn Koštunica verlangt, dass die geplanten Wahlen für das serbische Parlament unter Aufsicht der OSZE auch im Kosovo stattfinden sollen? Nach der Resolution 1244 hat er das Recht dazu.

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