: Annäherung und Verweigerung
Metal zur Jahrhundertwende: Techno Animal und Dälek im Molotow ■ Von Holger in't Veld
Ach so, Ihnen ist das klar. Na dann ist ja gut. Aber für den Fall, dass es LeserInnen dieser Seite gibt, die den Bereich des Dunklen, Extremen, Aggressiven, Harten, Metallischen, Hysterischen ausblenden, weil sie dort Dummheit, reaktionäres Gedankengut oder Satan wähnen: Dabei handelt es sich 1. um eine billige Verallgemeinerung, 2. bei der Ausgrenzung um einen Verlust an Lebensqualität, sowie 3. die fahrlässige Missachtung politischer Verbündeter. 4. Diejenigen verdienen Aufmerksamkeit und Respekt. 5. „In Wahrheit spiegelt die Kunst den Zuschauer, nicht das Leben“ (Oscar Wilde).
„Die meiste Musik, die ich liebe, hat mich zunächst überfordert. Das gilt zum Beispiel auch für Billy Holidays Stimme. Aber wenn das Interesse da ist, kann jeder über den Schock hinweg in die anstrengendste Musik hineinkommen.“ Auch um zu Kevin Martin zu kommen, muss eine Schwelle überwunden werden, auch hier heißt der Schlüssel Interesse und erschließt einen ebenso sympathischen wie intelligenten Menschen, randvoll von dem, was mit dem unübersetzbaren Wort „Attitude“ gemeint ist. Das heißt keinesfalls Attitüde, sondern Integrität beziehungsweise Haltung und zwar in einem ganzheitlichen, sprich ästhetisch-politisch-sozialen Sinne. Wie so oft in der Mittdreißiger-Generation wurde auch sein Leben durch Punk verändert – nachhaltig und in der inhaltlich-musikalischen Extremform, sprich Discharge/Crass. In dieser Zeit hat er nicht etwa zur Gitarre, sondern zum Saxophon gegriffen, Formeln und Ausgrenzungen von Anfang an in Frage gestellt. Die Folge: Egal welche Form von Avantgarde bzw. Cutting Edge, der Teilzeitjournalist kennt und versteht alles, kann Zusammenhänge erkennen und Phänomene erklären. Wenn solche Menschen sich nun daran setzten, selbst Musik zu erstellen, ist das notwendig und tollkühn zugleich, denn alles Wissen um das Intensive und Wahrhaftige kann nicht automatisch auch solches produzieren. Nur mit einem seiner vielen Projekte ist es Martin gelungen, die Grenzen von Analyse und Konstruktivismus zu überwinden – der Name der Gruppe war passenderweise God. Das 12-köpfige Free-Jazz-Noise-Experiment mit ganzkörperlicher Wirkung existiert nicht mehr. Für Martin die Erkenntnis, dass Glaube – idealistische, weil unbezahlte Hundertprozentigkeit – nicht in einer Gruppe funktioniert, die größer ist als...zwei. Techno Animal ist ein Duo, eine langjährige, auf Hardcore gebaute Freundschaft, deren andere Hälfte Justin Broadrick seinerseits als Gründungsmitglied von Napalm Death und Kopf von Godflesh ebensoviel gelebte Beton-Biographie in die gemeinsame Besessenheit einbringt. Was die Musik angeht, so ist hier, wie bei allen Martin-Projekten, erstmal der Paradigmenshift zu vollziehen: Das Koordinatensystem heißt nicht Melodie und Harmonie, sondern Rhythmus und Noise.
Dabei ist Drum&Bass für ihn „der Heavy Metal des Jahrhundertwechsels“. Gleichzeitig gilt aber: „Jedes Genre ist schwierig, weil es Regeln und Grenzen impliziert. Was ich mache, hat einen Outsider-Status. Wir passen in kein Gebiet. Es scheint gegen unsere Natur zu sein. Vielleicht ist es auch was masochistisches dabei, ein Vergnügen an der Reibung und der Quälerei.“ Gewiß ist: ein anarchischer Geist, ein anhaltender Wunsch nach einer Zwischenzone, der ihn auch nach 15 Jahren immer wieder am Exis-tenzminimum zurücklässt.
Was Worte angeht, durchläuft Martin die klassische Geschichte von Verweigerung und Wiederannäherung beziehungsweise Rock als einem Text-Klischee, das (nicht nur) er gerechterweise auf Grunzen reduziert hat, und – auf der anderen Seite – HipHop. „Den Missbrauch von Sprache verstärken“ nennt er das. Für ihn ist HipHop „das letzte Wort in der Musik“. Welche Worte ihm dabei besonders gefallen, illus-triert die begleitende New Yorker Rap-Gruppe Dälek, die ihre Inhalte eher unter dem Gullideckel als im Schlafzimmer findet. Gelacht wird hier auch, nur eben nicht billig. „Ich hasse Ironie“, sagt Kevin Martin. „Diese Welt ist voll davon, denn es ist die beliebteste Methode, um den Glauben an etwas herumzukommen.“
Do, 21 Uhr, Molotow
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