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Normales Himmelfahrtskommado

St. Pauli-Bombe entschärft. Verkehr kam zum Erliegen  ■ Von Kai von Appen

„Jede Bombenentschärfung ist ein Himmelfahrtskommando.“ Mit diesen Worten hat Sprengmeister Manfred Schubert (Foto oben rechts) vom Kampfmittelräumdienst am gestrigen Morgen die Spannung vor der spektakulären Entschärfung der 500 US-Pfund Minenbombe auf dem Kiez selbst gesteigert. Bereits um 13.59 Uhr – erheblich früher als erwartet – die Entwarnung. Die Bombe ist entschärft. „Das war ein Normalfall wie jeder andere“, sagt Schubert Minuten später.

Dabei ist eine Bombenentschärfung nach Schuberts Angaben nie ein Selbstgänger, da ein Sprengmeister nie wisse, wie es im Inneren der verrosteten Metallhülle aussieht. Und auch dieser Fall hat seine Eigenart. „Beim Aufschlag der Bombe hatte sich ein Zünder gestaucht“, erklärt Schubert. Deshalb sei der „Zünder verkantet gewesen“, so dass er ihn mit „einem Mittel lösen“ und erst dann Herausschrauben konnte.

Der Entschärfung der Minenbombe – die seit über 57 Jahren im Erdreich der Taubenstraße gelegen haben muss – geht am Morgen zugleich eine der außergewöhnlichsten Evakuierungsaktion voraus, so dass der Verkehr auf St. Pauli im wahrsten Sinne des Wortes zum Erliegen kommt. 5400 AnwohnerInnen im Radius von 200 Metern um den Fundort müssen ihre Wohnungen verlassen und werden mit Bussen aus der Gefahrzone oder in Notunterkünfte gebracht. Gas- und E-Leitungen zu den Gebäude werden gekappt. Der Schulunterricht in der Region fällt aus, und der Autoverkehr ruht.

Im Umkreis von weiteren 300 Metern darf niemand die Häuser verlassen. Selbst in der Herbertstraße geht nicht mehr. Die Bavaria-Brauerei stellt ihre Produktion ein, und das Tropenkrankenhaus wird vorsorglich mit Sandsäcken verbarrikadiert, um Gastanks zu schützen. Und die bekannte Tag-und Nacht-Esso-Tanke schließt seit ihrer Eröffnung im Jahre 1949 erstmals ihre Türen ab.

Nachzügler werden von der Polizei ermahnt. „Ich muss Sie bitten, das Lokal zu schließen und zu verlassen,“ fordert ein Polizist Koc Abdul Baki vom Imbiss „Heiße Ecke“ unmissverständlich auf. „Hier sind Sie unmittelbar gefährdet.“ Und auch an den Absperrungen ist trotz Ausreden – „mein Säugling braucht die Flasche“ – kein Durchkommen, bis über mobile Lautsprecher vom Bezirksamt-Mitte ertönt: „Die Sperr- und Evakuierungsmaßnahmen sind aufgehoben“.

Für Schubert könnte es die letzte „spektakuläre Bombe“ gewesen sein. Er scheidet zum 1. April aus dem Räumdienst und wird andere Aufgaben bei der Feuerwehr übernehmen. Bis dahin hofft er nur noch, mit Blindgängern in Granatengröße zu tun zu haben.

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