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Was war in der „Erika“?

Bei dem Tankerunglück wurden die Katastrophenhelfer möglicherweise Krebs auslösenden Stoffen ausgesetzt. Heute entscheidet das Gericht, ob Materialproben untersucht werden dürfen

aus Paris DOROTHEA HAHN

„Ich habe einen Monat lang Mineralölreste vom Strand von Belle Île geputzt“, sagt Christian Melot. „Jetzt will ich wenigstens wissen, was ich da weggeräumt habe und welche gesundheitlichen Folgen mir drohen.“

Das Anliegen des jungen Franzosen leuchtet ein. Zumal im März bekannt wurde, dass die freiwilligen Helfer, die nach dem Auseinanderbrechen des Öltankers „Erika“ und angesichts von elendig krepierenden Seevögeln zu Tausenden an die südbretonischen Küsten geströmt waren, mit potenziell Krebs auslösenden Produkten hantiert haben.

Doch zehn Monate nach der Tanker-Katastrophe in Frankreich gibt es immer noch keine unabhängige Labor-Untersuchung der zäh-klebrigen schwarzen Ladung der „Erika“. Ein Gericht in Le Havre muss heute darüber entscheiden, ob eine Initiative freiwilliger Strandputzer, die ABE, das Recht hat, eigene Proben aus dem Schiffsbauch untersuchen zu lassen.

Bislang hat nur TotalElfFina direkten Zugang – das Unternehmen, das im vergangenen Dezember die rostige „Erika“ gemietet und beladen hatte und das in diesem Herbst eine neue Technologie vorführte und in Eigenregie die Abpumparbeiten aus dem Wrack organisierte. „Das ist ein geschlossener Kreislauf, in den niemand Außenstehendes Einblick nehmen konnte“, konstatiert Rossano Pulpito von der ABE.

Die Analysten, die vom größten Unternehmen Frankreichs, das auch weltweit zu den ganz Großen gehört, beauftragt wurden, haben bestätigt, dass die „Erika“ Fuel des Typs Nr. 2 geladen hatte, wie es auch in den Büchern von TotalElfFina steht. Doch ABE bezweifelt, dass das stimmt. Ein unabhängiges Chemielabor, das direkt nach der Katastrophe im vergangenen Dezember Ölproben im Meer und an mehreren verpesteten Küsten entnommen hatte, war zu einem anderen Ergebnis gekommen. Analytika ermittelte damals, dass die „Erika“ keineswegs Fuel Nr. 2, sondern Mineralölabfälle an Bord hatte. Chemisch ist dieser Unterschied relativ gering. Analytika fand einen Zusatz von Benzalkoniumchlorid, das als Desinfektions- und Konservierungsmittel sowohl in der Medizin als auch in der Technik eingesetzt wird. Juristisch und finanziell hingegen ist der Unterschied viele Milliarden Franc schwer, denn der Transport von Mineralölabfällen ist strikt verboten. Sie müssen an Ort und Stelle vernichtet werden. Sollte die „Erika“ illegale Stoffe an Bord gehabt habe, wäre TotalElfFina strafrechtlich verantwortlich.

Der Konzern hat die Entdeckung von Analytika bestritten, aber auf Verleumdungsklagen und andere rechtliche Mittel verzichtet. Sprecher des Konzerns erklärten, das Benzalkoniumchlorid, das die Experten gefunden hätten, stamme nicht aus dem Schiffsbauch, sondern habe sich erst im Meer mit der ausgelaufenen Ladung gemischt.

Am vergangenen Freitag legte Analytika-Chef Bernard Tailliez jedoch nochmals nach. Ihm liege jetzt der „chemische Fingerabdruck“ des Mittels vor, sagte er in Paris. Es handele sich um einen Typ von Benzalkoniumchlorid, der „klassischerweise“ von der Branche zur Bearbeitung und Aufbewahrung von Mineralölabfällen benutzt werde. Er zitierte unter anderem Unternehmen, die den Stoff auch an TotalElfFina verkaufen.

Die Frage, was sich tatsächlich in den Containern im Bauch der „Erika“ befand, wäre heute leicht mit einer erneuten Laboruntersuchung zu klären. Denn im September erstritt die Initiative der freiwilligen Helfer vor Gericht das Recht auf zehn direkt aus dem Schiffswrack abgepumpte und repräsentativ aus allen Containern an Bord zusammengemischte Proben. Doch kaum hielt die ABE diese in Händen, ließ TotalElfFina sie wieder beschlagnahmen. Wem diese Proben gehören, darum geht es heute vor Gericht.

Die einstigen freiwilligen „Erika“-Putzer waren in der vergangenen Woche nach dem neuerlichen Schiffsuntergang vor der französischen Küste die ersten, die ihre Landsleute davor warnten, selber Hand anzulegen. Zehn Monate danach sehen viele ihren großmütigen Einsatz am Strand als Fehler an. Zumal sie nie ein vergleichbares Engagement auf Seiten von TotalElfFina gesehen hätten.

Christian Melot, der damals auf Belle Île aufräumte, bereut sein Engagement nicht. Aber er will sich „nicht länger für dumm verkaufen lassen“. Er verlangt, dass die Proben von einem unabhängigen Labor untersucht werden und dass alle freiwilligen „Erika“-HelferInnen systematisch gesundheitlich überwacht werden. „Bis man in Frankreich angefangen hat, von einem Golfkriegssyndrom zu reden, mussten zehn Jahre vergehen. So viel Zeit darf in diesem Fall nicht vergehen.“

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