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cdu in der leitkulturAuf dem Weg ins Zuwandererland

Das muss ein Bild für die Götter gewesen sein: Die CDU-Spitze diskutiert ihre Leitsätze für die Zuwanderungspolitik und streicht zunächst den Begriff „deutsche Leitkultur“, dann nimmt sie ihn wieder auf, dann streicht sie ihn wieder, dann nimmt sie ihn wieder auf. Ich werde den Begriff nicht verwenden, sagt Peter Müller beleidigt. Wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir zu sagen haben, hält Roland Koch ihm entgegen. Mir geht's nicht um Begriffe, sondern um Inhalte, ruft Friedrich Merz dazwischen. Ein russisches Birkenwäldchen ist keine deutsche Landschaft, antwortet Angela Merkel. Am Ende ist in dem Papier von einer „Leitkultur in Deutschland“ die Rede.

Kommentarvon JENS KÖNIG

Und darüber soll man sich aufregen? Ach Gottchen. Die CDU hat nicht Empörung, sondern Mitleid verdient. Wie verzweifelt muss eine Partei denn sein, dass sie an einem Begriff nur deswegen hängt, weil er an ihr festklebt, und den sie wortreich erklären muss, damit sie ihn überhaupt verwenden kann.

Das Einwanderungspapier beweist, dass man sich vor der deutschen Leitkultur, obwohl es ein Kampfbegriff ist, überhaupt nicht fürchten muss. Im Gegenteil: Die Leitsätze sind Ausdruck ihrer Angst. Die CDU fürchtet sich vor sich selbst und ihren Wählern. Sie hat Angst vor einem angeblich linken Zeitgeist, der ihr den schönen Begriff „Leitkultur“ wegnehmen will. Die CDU hat Angst vor der SPD, die ihr nicht nur die neue Mitte und die Wirtschaft, sondern jetzt auch noch die Nation klaut. Und die Partei hat Angst vor Stoiber, dem besseren Populisten.

Diese Angst macht das Einwanderungspapier der Christdemokraten so halbherzig. Es ist mal liberal, mal konservativ und an vielen Stellen unscharf. Einwanderung? Ja – aber nur, wenn nicht unser schönes christliches Abendland kaputtgemacht wird. Ausländer? Gerne – aber vor allem solche, die uns nützen. Integration? Selbstverständlich – wer vorher in einem Pflichtkurs deutsche Werte büffelt.

Die CDU will sich und ihren Wählern nicht eingestehen, dass sie im Begriff ist, sich von ihren jahrzehntelang gepredigten, aber überholten Positionen in der Einwanderungspolitik zu verabschieden. Sie nähert sich etwas umständlich, aber doch unwiderruflich der Erkenntnis, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Sie traut sich nur noch nicht, das zu sagen. Deswegen beharrt die CDU so energisch auf dem Begriff „Leitkultur“. Sie glaubt, das mache sie stark. In Wahrheit ist es ein letztes ideologisches Rückzugsgefecht.

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