: Gern auch mal dämonisch
Affinität zu Brennbarem: Im jungen dänischen Theater zündelt überraschenderweise mal die Geliebte im Haus des Ex ■ Von Frank Keil
Auf der improvisierten Bühne steht ein Sack Holzkohle. Auf dem Tisch daneben eine dieser neumodischen, gewellten Aluschalen, in denen die Würste nicht mehr anbrennen. Aber die Grillsaison ist doch vorbei! Hungrig ist man trotzdem. Hungrig vor allem nach Sinn, nach Mythen, nach neuen Stoffen, die man auf die Theaterbühne bringen könnte. Auch darauf verweisen die Requisiten zu dem Stück „Kains Mal“ des dänischen Dramatikers Morti Vizki.
Theater aus Dänemark, viel will einem dazu auf den ersten Blick gar nicht einfallen; im Gegensatz zur dänischen Prosa, dem Film, der Malerei oder auch der modernen, dänischen Musik. Damit das nicht in alle Zukunft so bleibt, werden im Rahmen der Reihe „danmark til hamborg“ an einem Abend im Ernst-Deutsch-Theater junge dänische Dramatiker auszugsweise vorgestellt. Drei Studenten des Studienganges Regie der Hamburger Musikhochschule lasen sich für diese Aufführung durch vierzehn aktuelle Stücke unseres Nachbarlandes. Ihre Ausbeute wird nun auf der Studiobühne des Ernst-Deutsch-Theaters zu begutachten sein.
„Nicht alle Texte waren gut, aber das hat nichts mit Dänemark zu tun“, konstatiert der Regiestudent Andreas Bode nüchtern, der sich für den Stoff des biblischen Brudermordes entschieden hat. Kains Mal überzeugte ihn aufgrund der gelungenen Adaption eines klassischen Stoffes in die Gegenwart, ohne dass dieser leichtfertig seiner Grundkonstellationen der Bruderrivalität und ihrer Folgen enthoben wurde. Ob das Stück typisch dänisch sei, auch daran hat Bode leise Zweifel.
Fasziniert hat ihn, wie aus einem nur wenige Zeilen langen Stoff ein anderthalb Stunden langes Theaterstück wurde, das die im Original nur ansatzweise angedeuteten Motive von Neid, Missgunst und Eifersucht einmal detalliert ausführt. Kein leichtes Unterfangen, ist doch der Mythos schier übermächtig: „Wenn du zwei Männer auf die Bühne stellst, das Stück 'Kains Mal' nennst, dann weiß jeder, wie der Hase läuft.“
Der Schauspielschüler Georg Jungermann wird die Rolle des zupackenden, aber etwas ungelenken Kain übernehmen, sein Kollege Dominik Maringer die des vergrübelten und stichelnden Abels. Überraschenderweise findet sich auch eine Frau auf der Bühne: Elisabeth Müller übernimmt die Rolle des weiblichen Teufels, der dafür zu sorgen hat, dass das Schicksal auch seinen Lauf nimmt und sich erfüllt, was erfüllt werden soll. Das Dämonische scheint ihr zu liegen, denn sie ist auch an dem Stück Asche zu Asche – Staub zu Staub von Astrid Saalbach beteiligt; einem scheinbar klassischen Beziehungsstück, das die dänische Tradition des Emanzipationsdramas aufgreift: Er kehrt von seiner Geliebten zurück zu Frau und Kindern. Die Geliebte folgt ihm, um Ehefrau und Kindern den Garaus zu machen und zu guter letzt das Haus in Brand zu stecken. Man hat offenbar eine gewisse Affinität zu Brennbarem.
Allen Befürchtungen, man könne die Veranstaltung schwermütig und mit gesenktem Haupt verlassen, treten die Schauspieler der Kain-Geschichte beherzt entgegen: Ihr Stück sei doch eher eine Komödie denn eine steifbeinige Tragödie; man habe sich einiges einfallen lassen, um dem pathetischen Theater zu entgehen.
Zu erleben sein wird all das in einer Mischung aus Spiel und Lesung. Die Zeit zum Proben war knapp, die Studiobühne verfügt nur über begrenzte Möglichkeiten, dramaturgische Effekte auch umzusetzen, und schließlich sei man auch noch kein Profi und müsse Anspruch und Wirklichkeit einander angleichen.
Hinterher will man keineswegs flugs in die Mäntel schlüpfen und nach Hause eilen, sondern die rare Möglichkeit der Begegnung mit der dänischen Theaterwelt soll genutzt werden. Die Dramaturgen wie Schauspieler, aber auch die Dramatikerin Astrid Saalbach sind bereit, sich Fragen zu stellen. Ob anschließend ein DJ vermutlich dänische Platten auflegt oder eine Jazzkapelle live vor Ort spielt, ist noch nicht ausgemacht. Sicher ist: Der Eintritt ist frei. Und das heißt, dass man das gesparte Geld frohen Herzens in dänisches Bier, Smörebröd und Pölser verwandeln kann. Und wem die in Brötchen gepackten und mit allerlei Soßen begossenen Würste zu glitschig sein sollten, wem bei allem Dänischen der Sinn mehr nach brutzeliger, deutscher Leitwurstkultur steht: Es ist ja noch Grillkohle da.
10. November, 23 Uhr, Studiobühne des Ernst-Deutsch-Theaters
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