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Brachialmotorisches Brunftgebaren

Götz George zieht die Jacke aus: In den beiden neuen Folgen kommt Schimanskis bestes Stück nur am Rande vor, dafür schlüpft der Ruheständler heute in aalglatte Anzüge („Tödliche Liebe“, 20.15 Uhr, ARD). Ansonsten bleibt er ganz der Alte

von CHRISTIAN BUSS

Auf den Schultern von Götz George lastet ein bedeutendes Stück deutscher Fernsehgeschichte. Ganz wörtlich: Schließlich muss der Mann in seiner Rolle als Schimanski mit einer Kutte durch die Gegend laufen, die normalerweise als Exponat im Berliner Filmmuseum hängt. In direkter Nachbarschaft zur Garderobe der Dietrich. Die ist ja schon länger tot – er aber lebt.

Um den Verdacht musealer Erstarrung abzuwehren, darf er sich also ganz schön ins Zeug legen. In den beiden neuen Filmen, in denen der 62-Jährige wieder den Ex-Kommissar spielt, tut er das gewohnt grobschlächtig: Kontrahenten, die nicht mal halb so alt sind, drückt er die Nasen in Sahnetorten oder Suppenschüsseln. Und seinem Geschlechtstrieb, das sei ebenfalls angemerkt, lässt er noch immer in unpassenden Momenten freien Lauf.

Doch was passiert nun mit dem historischen Parka? Den trägt Schimanski mit äußerster Sparsamkeit. In „Tödliche Liebe“ muss er sich undercover als Ganove in eine Drückerkolonne einschleusen und legt ihn deshalb schon nach wenigen Minuten ab, um fortan herumzulaufen wie der Bösewicht in einem Dickens-Roman – mit gockeligem Gang im aufgeplusterten Gehrock. Für die Folge „Schimanski muss leiden“, die am 3. Dezember in der ARD zu sehen ist, kommt die beige Jacke ebenfalls nur gelegentlich zum Einsatz. Dann allerdings mit Furore: Erst als sich der ehemalige Ermittler entschließt, ins unübersichtliche kriminelle Geschehen einzugreifen, wirft er sich das gute Stück über. Mit ganz großer Geste – wie im Western der Ex-Sheriff, der sich noch ein letztes Mal den Stern ansteckt und für Ordnung sorgt.

Travestie oder Überhöhung – das scheinen inzwischen die einzigen Möglichkeiten zu sein, mit der Filmfigur Schimanski umzugehen. Von der hemdsärmligen Unbekümmertheit, mit der George-Hausregisseur Hajo Gries den Cop noch 1999 in der gräuslichen Einzelepisode „Sehnsucht“ zu Werke gingen ließ, ist in den beiden neuen Sequels jedenfalls nichts mehr zu spüren. Was daran liegen mag, dass zwei Regisseure angeheuert worden sind, die nach den Kriterien des öffentlich-rechtlichen Beamtenapparats als Youngster durchgehen: Sowohl Andreas Kleinert als auch Matthias Glasner haben nach neuen Erzählstrategien gesucht, um der ausgeleuchteten Figur neue Facetten abzugewinnen.

Scheitern tun sie beide, aber auf unterschiedliche Weise. Andreas Kleinert, der eigentlich den Ruf eines Routiniers genießt, bleibt schon aufgrund der Ausgangssituation von „Tödliche Liebe“ auf der Strecke. Denn wie könnte sich Schimanski, dieser Inbegriff einer ehrlichen Haut, verstellen? Das aber muss er tun, um in der Drückerszene Duisburgs einen Mordfall zu untersuchen. Dass ihm die gelinkten Halbweltgestalten die Camouflage abnehmen, lässt auf ihren beschränkten Horizont schließen. Zwar trägt der eigentlich nicht zu Kosmetik und Hygiene neigende Ruhrpott-Klotz einen gebügelten Anzug und Öl in den Haaren, ansonsten aber benimmt er sich ganz nach Schimi-Art.

Dass Kleinert seinen Krimi wie ein Kammerspiel angelegt hat, macht die Sache nur noch problematischer: Das Brunftgebaren und die brachiale Motorik des Hauptakteurs sind raumfüllend, eventuelle Nuancen im Spiel solch exzellenter Darstellerinnen wie Katrin Saß müssen da untergehen. Zwar verweilt die Kamera lange am Dekolleté der Dame, dafür darf sie über die tragischen inszestuösen Verstrickungen ihrer Figur nur ganz kurz Auskunft geben. Und Schimanski behält trotzdem zu jedem Zeitpunkt den Überblick.

Ganz anders übrigens als in „Schimanski muss leiden“, wo der Ermittler durch einen irrwitzigen Polit-Plot poltert. Regisseur Matthias Glaser ist ja sowieso aufs Irrwitzige abonniert: Seit Anfang des Jahres legt er der Presse regelmäßig neue Schnittfassungen seines Kinofilms „Fandango“ vor, der Ende des Monats unwiderruflich in die Kinos kommen soll. Doch ganz egal, auf welchen Final Cut sich seine Produzenten einigen, das Techno-Musical ist am Ende nie mehr als ein schwülstiger Video-Clip mit Überlänge. In „seinem“ Schimanski glücken ihm tatsächlich einige verrückte narrative Verknüpfungen. So wird der Currywurst kauende Expolizist an einer Autobahnraststätte Zeuge eines Mordes und heftet sich ausgerechnet mit der attraktiven Oma des jugendlichen Täters (Christiane Hörbiger) an dessen Fersen. In keiner Szene wird sich um Plausibilität oder anderen erzählerischen Ballast klassischer Krimis geschert – und das geht schon in Ordnung, gerne lässt man sich von der technischen Virtuosität in den Bann ziehen.

Dass die Verfolgungsjagd ins Blaue allerdings direkt in den Krieg zwischen Kurden und Türken führt, ist dann doch fragwürdig. So wird die offensichtlich nicht zu bewältigende Komplexität des ethnopolitischen Konflikts zum Alibi dafür, Ansichten und Analysen nicht allzu große Aufmerksamkeit zu schenken. Der Mann mit dem atavistischen Jagdinstinkt wird’s schon richten: Keinen Schimmer haben und doch irgendwie das richtige tun – so mögen die Zuschauer ihren Schimi eben.

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