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Liechtenstein und der Ferne Osten

Die Untersuchung oder Der Untergang des Hauses Kohl, Teil 8

von TILMAN SPENGLER

„Was die Gegenseite kann“, hatte Gossel an diesem Morgen seinem Spiegel nach dem Rasieren zugerufen, „also, so blöde bin ich auch nicht.“

Der Gedanke an einen Maulwurf im eigenen Apparat ging ihm seit drei Wochen nicht mehr aus dem Kopf. Birne und Maulwurf, das war irgendwie die falsche Website.

Hatte sich aber festgefressen. Wenn Gossel morgens seinen schnurrenden Braun-Bio-Chopper die Stoppeln auf den Kinnbacken herunterschaben ließ, rief der Rasierapparat „Maulwurf“, manchmal auch „Apparat“, wenn er sich an einem der leicht weißen Haarwirbel festgebissen hatte. Jedesmal klang es höhnischer, spottender, herausfordender.

Aber wem wäre eine solche Rolle als Betriebsspion im eigenen Laden zuzutrauen? Das war nichts für den Hauptcast der Firma, so viel stand fest, da musste ein Epi, ein Episodenhauptdarsteller, dahinter stecken. Doch aus der Nähe betrachtet, gab es in dieser Firma wirklich einen, der es auch nur bis zur Rohschnittabnahme gebracht hätte? Dirk van Becker etwa, der seinen Namen in dieser Geschichte mal so, mal anders schrieb? Aber Becker war bekennender Legastheniker, nur deshalb sackte er alle Aufträge für die Produktionen im öffentlichen Nachtprogramm ein. Mike Bangermann? Der heimlich im Spiegel die Glossen schrieb? Der dicke oder der dünne Müller?

Unsinn. Die hatten allenfalls Beraterverträge für das Doppelkinn von Scharlau. Maulwürfe sind Wesen von überlegener Intelligenz und Sensibilität. Das schloss Gossels Mitarbeiter aus. Die Dicken wie die Dünnen, die Vorlauten wie die Duckmäuser. Maulwürfe mögen unauffällig schräg aussehen, sagen wir, wie Redakteure von der taz, auch schräg unauffällig, beides, weiß Gott, kein Fest fürs Auge, aber einem so harten Blick wie dem von Gossel gaben sie sich durch ihre Backenarbeit zu erkennen.

Und doch. Und doch. Und doch.

Da hatte jemand heimlich in den Text hineingefuscht. In den Vortext zwar nur, die Faustskizze, den bekannten Birnenabriss, aber man weiß ja nie, welche von den vielen Versionen schließlich übrig bleibt. Neulich waren denen aus dem elften Stock mal alle Horizontalen weggebrochen, Tatsache, sämtliche A-Plots, und übrig geblieben waren nur noch die Nebengestalten, ein Holger zum Beispiel, pickeliger Gärtnergeselle aus Dahlem mit ernsthaften Hernienproblemen, der ...

„Holger“, dachte Gossel plötzlich, das war doch einer der Namen, den Güldemeister genannt hatte. Holger und was noch? Gossel nahm seine Zähne aus dem Cognacglas und ließ die braune Flüssigkeit über die Zunge schwemmen. „Mahls“, sagte er, und nachdem das Gebiss saß, noch einmal „Pfahls, genau, Holger Pfahls“. Der Mann von der CSU mit dem großen Schnitt. Der jetzt in Taipeh lebte, vermutlich in der Nähe des Sun-Yatsen-Boulevard und das ergaunerte Geld in Hurenhäusern durchbrachte und in Kliniken. Junge, dieser Pfahls musste in die Geschichte, Ferner Osten, kurze Röcke, Leidenschaften, Grausamkeit, Stäbchen usw.

Aber Pfahls konnte nicht der Maulwurf sein. Andererseits bestand eine Beziehung, das spürte Gossel jetzt so deutlich wie die Flasche auf seiner Unterlippe. In diesem Vortext war nämlich das Gesicht des Vertrauten von Pfahls, des Waffenhändlers und Waffenhändlererben Max Strauß, welches in der ursprünglichen Drehbuchfassung als „Vierkantschlüssel“ eingeführt, durch einen Abschreibfehler in „Vierkantschüssel“ umgewandelt, gut, jedenfalls stand auf einmal dort, wo „ein Gesicht wie abgebräunter Leberkäs“ hätte stehen müssen, die lyrische, jedenfalls für ein Zweitfach Kunstgeschichte lyrische Beschreibung „lebhaft gesprenkelter Rosengranit“. So formuliert nur ein Saboteur.

Wenig später war dann aus einem anderen Treatment der Begriff „Dongel“ verschwunden. Alle, die unsere Hauptfigur einmal im Rausch erlebt hatten, erinnerten sich, wie lustig der Held in solchen Situationen von seinem „Dongel“ und dessen gewaltiger, geradezu pfälzischer Kraft unter den verschiedensten Weibern zu berichten wusste. Gossel selbst war Zeuge gewesen, behauptete das zumindest gerne und voller Überzegung, weil für ihn ein Kanzler ohne pikant Geferkeltes praktisch kein Kanzler war. Jetzt war auf der Festplatte der Begriff „Dongel“ von geheimnisvoller Hand ersetzt worden – durch den unendlich drögen Ausdruck „Gleitkultur“.

Was hatte Güldemeister zwischen schweren Rülpsern noch gesagt? „Bäuerchen will nach Liechtenstein, ... lauter Pfahlsbauten in Vaduz, ... hatte mal ne tolle, ne echt, ne tolle Vaduzfreundschaft, ... bin damals hochgekommen wie Penis aus der Asche“, der Rest war dann nur noch Gelalle gewesen.

Steckte in diesen Auswürfen ein verwertbarer Hinweise auf den Maulwurf in der Firma? Sollte Gossel sich auf den Weg dorthin machen? Vor vier Wochen war er hier nur Bankern begegnet, die es eilig mit der Selbstanzeige hatten, weil der Knast in Liechtenstein so komfortabel ist. Komfortabel, weil mit begrenzter Platzzuteilung. Pfahls würde er dort gewiss nicht treffen. Aber einen Hintermann? Eine Stimme? Einen Hinweis auf den Maulwurf? Oder sollte jemand anders diesen Job übernehmen?

Tilman Spengler ist Mitherausgeber des Kursbuchs, Sinologe und Schriftsteller. Zuletzt erschien der Roman „Die Stirn, die Augen, der Mund“

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