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Der rote Faden des Lebens

Warum die Geschichte der Psychoanalyse neu geschrieben werden muss – und mehr: Das „Museum der Unerhörten Dinge“ in Schöneberg vermischt Fakten und Fiktionen und stellt von vielen möglichen Wahrheiten ein paar der ausgefallensten aus

von AXEL SCHOCK

Wird man die Geschichte der Psychoanalyse neu schreiben müssen? Diese Frage stellt sich angesichts von zwei Seiten Papier, die ihr Entdecker Roland Albrecht jüngst mit einem Vortrag der Öffentlichkeit präsentierte. Da sorgte der Fund bereits für ersten Wirbel, und demnächst wird er das jüngste Schmuckstück seiner Sammlung auf Einladung einer psychoanalytischen Gesellschaft mit Fachleuten diskutieren.

Der zweiseitige Brief des Dr. Sigmund Freud an den Stadtpfleger Herrn Braun zu Memmingen im Allgäu ist für Roland Albrecht der überraschende Beleg dafür, dass Freud ursprünglich das von ihm erforschte Krankheitsbild, das wir heute als Narzissmus kennen, zunächst als „Basiliskmus“ bezeichnen wollte. Angeregt und inspiriert war er dabei von der mythischen Gestalt des Basilisken, eines gefallenen Engels mit bösem Blick. „Zu ähnlich sind die psychosexuellen Eigenarten der Dementia Praecox“, schreibt Freud in dem Dokument, „die Rückkehr des kranken Individuums zum Autoerotismus und seine Abwehr, gesehen zu werden, die bis zum Todeswunsch des anderen gehen kann.“

Hinter Glas gerahmt liegt der Brief nun auf einer Säule in Roland Albrechts kleinem Privatmuseum, dem „Museum der Unerhörten Dinge“. Voller Besitzerstolz hebt er die durchsichtige Halbkugel über dem sensationellen Objekt, dann präsentiert er seine zweite Neuerwerbung. Auch die liegt unter einer Plastikglocke gesichert und schützend in Watte gebettet und ist auf den ersten Blick ein eher unförmiger Stein mit matter Oberfläche. Roland Albrecht aber weiß von diesem kleinen Stückchen große Geschichten zu erzählen. Es handele sich dabei um einen Bernstein, von einer Flammenbrust und deren höllischer Hitze geschmolzen und zu diesem eher unscheinbaren Ding erstarrt. Was da vor uns liege, erzählt Albrecht, sei ein winziges Teil aus dem legendären Bernstein-Zimmer, entdeckt im Jahre 1975 durch den Bergbau-Ingenieur Mika Lotowitsch in Kaliningrad, ehemals Königsberg. Bei Grabungsarbeiten in den Ruinen des niedergebrannten Stadtschlosses sei das Steinchen zu Tage gekommen.

Die historischen Details sprudeln nur so. Immer wieder verweist Roland Albrecht bei seiner Führung durch die Sammlung auf wissenschaftliche Belege und zitiert Quellen, bis dem Zuhörer schwindelig wird. Und dann wagt man es doch, einfach mal zu fragen: „Glauben die Besucher wirklich, was Sie ihnen da erzählen?“

Albrecht seufzt: Leider ja. Ob er den Bernstein nicht den Behörden melden müsse, habe ein Berliner Journalist insistiert und bis zuletzt an der Wahrhaftigkeit von Albrechts Erzählungen nicht gezweifelt. Die zwei Metallrädchen aus Walter Benjamins Schreibmaschine, auf der Albrecht zufolge der berühmte Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ geschrieben wurde, habe sogar das Technische Museum Dresden aufhorchen lassen, heißt es.

Ist Roland Albrecht ein Lügner? Was für eine Frage. „Was ist schon Wahrheit?“, fragt er zurück. Es sei eine von vielen möglichen Wahrheiten, die er ausstelle. Zur Wahrheit schließlich gehört immer auch Glaube, das habe er gerade wieder einmal bei einer Reise nach Padua erfahren, wo er eine Reliquie des Heiligen Antonius besichtigt hatte. In dem dort präsentierten goldenen Schrein soll sich dessen unverweste Zunge befinden. Ob man das glauben solle? Und ob es sich allerorten in den Kathedralen tatsächlich um Splitter vom Kreuz Jesu oder doch einfach um ordinäre Holzspäne handelt – das entscheidet jeder letztlich für sich selbst. Denen, die daran glauben, fällt die Entscheidung allerdings wesentlich einfacher.

Roland Albrechts „unerhörte Dinge“ mischen Fakten mit Fiktionen – und seine simulierte Historie nimmt ein Eigenleben an. Als Kind schon hat er Fundstücke in einem Koffer gesammelt und sich Geschichten dazu ausgedacht. Nun stellt er sie aus – im Internet (www.tesof.de/museum) und in seinem kleinen Museum in Schöneberg.

Bis Ende des Jahres wurde ihm der Raum in der Crellestraße überlassen und durch ein Stipendium des Senats finanziert. Nun hofft er, dass die Miete längerfristig übernommen wird. Dann will er auch einen kleinen Nebenraum umgestalten, zum Depot. „Jedes richtige Museum braucht ein Depot“, sagt er, und lacht wieder auf selbstironische Art. Einen Museumsshop immerhin gibt es sogar schon: kleine Kunsteditionen zu ausgewählten Exponaten. Zum Beispiel ein Originalmodell des roten Fadens, der durch das Leben führt, samt einem Heft, in dem geschildert wird, wie der Faden extrahiert wurde. Er kostet 35 Mark.

„Museum der Unerhörten Dinge“,Crellestr. 5–6, Schöneberg.Geöffnet Mi.–Fr. 15–19 Uhr, jedenzweiten Samstag von 12 bis 17 Uhr

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