: Eine Umkehr. Keine Priorität für Bildung
Rot-Grün hat die Knauserei ihrer Vorgänger bei Bildung und Wissenschaft aufgegeben. Aber Vorrang haben Schulen und Hochschulen immer noch nicht. Die Lachnummer des Politsommers: 50 Millionen Mark für Gewaltprävention
BERLIN taz ■ Der Beißer ist diplomatisch geworden. Bisher pflegte Hans Lehrach einen scharfen Angriffston, wenn es darum ging, mehr Geld für das Humangenomprojekt (Hugo) einzuklagen. „Wir fördern in Deutschland“, sagte Lehrach, der die deutschen Hugo-Forscher koordiniert, „lieber sterbende Industrien als die Zukunftstechnologien.“ Das war vor einem halben Jahr. Heute säuselt Lehrach, Deutschland sei auf gutem Wege.
Haben Bundestag und -regierung wirklich ihre Prioritätenliste von der Vergangenheit Richtung Zukunft verändert? Oder hat der Max-Planck-Direktor Lehrach gelernt, dass man seine Geldgeber nicht zu oft aufrütteln darf? Beides ist der Fall, aber deswegen ist noch lange nichts zum Guten gewendet. Rot-Grün hat lediglich den Stillstand der Herren Kohl und Rüttgers beendet. Von einer Priorität für Bildung und Forschung kann keine Rede sein.
Von den UMTS-Milliarden hat Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) einen kräftigen Aufschlag bekommen. 100 Millionen Mark geht im Jahr 2001 zusätzlich in die Erforschung des menschlichen Erbgutes. 275 Millionen stellt sie für eine Zukunftsinitiative Hochschule zur Verfügung. Und sogar die Berufsschulen der Länder fördert die umtriebige Ministerin 2001 mit 175 Millionen. Das ist, alles zusammen, eine Menge Geld, wenn man daran denkt, dass unter der Ägide des „Zukunftsministers“ Jürgen Rüttgers (CDU) und seiner Vorgänger die Mittel des Ressorts für Lernen und Forschen um 700 Millionen Mark schrumpften (1993 – 1998). Rot-Grün hat in nur drei Jahren einen Zuwachs von 12 Prozent hinbekommen – auf heute knapp 16 Milliarden Mark.
Priorität Schiene
„Bildung und Forschung haben wieder Priorität“, schickte die Bildungsministerin daher ihre Frohbotschaft über die Nachrichtenticker. Das war kess. Denn die Priorität liegt im Ressort ihres Nicht-Mehr-Kollegen Reinhard Klimmt. Der Verkehrsminister streicht von den fünf Milliarden Mark, die sich an Zinsersparnissen aus den UMTS-Frequenzverkäufen ergaben, allein zwei Milliarden Mark ein. Nicht die Schulen haben oberste Priorität, sondern die Schienen.
Um wichtiger zu wirken, als sie wirklich ist, hat die Bildungsministerin sogar zu einer Notlüge gegriffen. Als Klimmt vor wenigen Wochen zwei UMTS-Milliarden für sein Ressort beanspruchte, setzte Bulmahn dagegen, auch sie bekäme 1,8 Milliarden. Das ist schon richtig – nur dass die Bulmahn diesen Betrag innerhalb von drei Jahren kriegt, während Klimmts Nachfolger Kurt Bodewig jedes Jahr zwei Milliarden Mark zusätzlich in das „Fass ohne Boden“ (Klimmt über die Bahn) stürzen darf.
Dabei ist Edelgard Bulmahn noch ganz gut davongekommen. Die Lachnummer des Politsommers dürfte sein, wie unentschieden die rot-grüne Koalition ihren entschiedenen Kampf gegen rechts bezuschusst. Seit Monaten lamentiert die Politik, den Schulen (Bildung und Erziehung) falle der Hauptanteil bei der Bekämpfung des (jungen) Rechtsextremismus zu. Der Kriminologe Christian Pfeiffer schlug vor, eine Stiftung „Zukunftsinitiative Jugend“ mit vier Milliarden UMTS-Mark zu dotieren, um so kontinuierlich Projekte an Schulen fördern zu können. Gerade hat die Bundesregierung bekannt gegeben, wie viel sie bereit ist, gegen rechts zu geben: 50 Millionen Mark.
Solche Erfahrungen sind es wohl, die Hans Lehrach bewogen haben, seinen Ton zu mäßigen, aber den Nachdruck nicht aufzugeben, mit dem er mehr Geld für die Zukunft fordert. „Wir sollten daher vielleicht über einen neuen ‚Kontrakt‘ nachdenken“, sagte Lehrach. Einen neuen Vertrag zwischen Gesellschaft sowie Bildung und Wissenschaft. CIF
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