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Für ein Paar Stimmen mehr

Der Republikaner George W. Bush schafft Tatsachen und bereitet weiter seine Übergangsregierung vor. Al Gore hingegen klagt weiterhin ungezählte Stimmen ein und schimpft über Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentschaftswahl in Florida

aus Washington PETER TAUTFEST

Vor einem Hintergrund von sieben US-amerikanischen Fahnen trat Al Gore am Montagabend vor die Kameras – sein Vizepräsidentschaftskandidat Joe Lieberman und sein Gegner George W. Bush waren am Sonntag mit je zweien ausgekommen. Gore begründete, warum er die Wahlergebnisse in Florida in drei Bezirken anfechten will: Er forderte erneut, dass jede Stimme zählt und deshalb gezählt werden müsse: „Ein Wahlzettel ist nicht nur ein Stück Papier, sondern eine Stimme“, sagte er der Fernsehnation, „und wir dürfen nicht zulassen, dass diese Stummen zum Schweigen gebracht werden.“

Obwohl Umfragen zufolge inzwischen 60 Prozent der US-Amerikaner dafür sind, dass Gore aufgibt (nur 50 Prozent haben überhaupt gewählt), scheint es in der demokratischen Partei keine Bereitschaft zu geben, Bush den Sieg zu konzedieren.

In Tallahassee klagen Gores Anwälte gegen Floridas Innenministerin Katherine Harris und gegen die Zählung in drei Landkreisen. Allein durch das Hinzufügen der in Palm Beach, Miami und Nassau durch die Nachzählung zusätzlich gefundenen, aber von Katherine Harris nicht berücksichtigten Gore-Stimmen, käme Gore auf einen Vorsprung von neuen (9) Stimmen vor Bush, der derzeit mit 537 Stimme in Florida in Führung liegt. Im Einzelnen will Gore folgende Stimmen einklagen:

* In Miami-Dade hat die Zählmaschine 10.750 Stimmzettel ausgeworfen, weil auf ihnen keine Stimme für den einen oder anderen Präsidentschaftskandidaten registriert wurde. In der Tat verzichten viele Wähler darauf, die elendslangen amerikanischen Wahlzettel auszufüllen, durch die vom Sheriff bis zum Schulrat ein bis zwei Dutzend Beamte gewählt werden. Es ist aber ungewöhnlich, dass Wähler kein Kreuzchen bzw. kein Loch für den Präsidenten machen. Miami-Dade verzichtete auf die Untersuchung dieser Lochkarten, weil der Abgabetermin zu eng gesetzt war und weil aus Washington eingeflogene Mitarbeiter republikanischer Abgeordneter vor den Zähllokalen randalierten.

* In Palm Beach ist nach Auffassung der Anwälte Gores ein zu strenger Maßstab an die Interpretation der Lochkarten angelegt worden. Lediglich leicht Eingedrückte Perforationen wurden nicht als Stimmabgabe gewertet. Dass Lochkarten eine Willensbekundung nicht registrieren, ist notorisch. Die Karte liegt nicht richtig in der Matrix oder die bereits herausgedrückten Schnipsel verhindern das Durchdrücken. Deshalb wurden Gesetze zum Nachzählen per Hand überhaupt erlassen.

* Im Landkreis Nassau verzichtete die Wahlleitung darauf, 56 Stimmen, die Gore durch eine maschinelle Neuzählung hinzugewonnen hatte, nach Tallahassee weiterzugeben und beschloss stattdessen die ursprüngliche Zählung zu melden.

* Nicht in der Klage Gores enthalten ist die potenzielle „Atombombe“ (O-Ton in US-Talkshows) – der einzige Fall, in dem tatsächlich echter Wahlbetrug vorliegen könnte: Im Landkreis Seminole hatten republikanische Parteimitglieder mit Wissen und Duldung der Wahlleiterin 4.000 unvollständige Briefwahlanträge von republikanischen Wählern ausgefüllt, etwas, was das Gesetz in Florida ausdrücklich verbietet. Unvollständige Anträge demokratischer Wähler blieben, wie das Gesetz es vorsieht, unbearbeitet liegen. Gleichwohl ist es schwer, hier Abhilfe zu schaffen. Die Wähler haben schließlich – wenngleich nach Aufforderung von Bush-Wahlkämpfern – guten Glaubens ihre Briefwahlscheine eingeschickt, und die von republikanischen Hiwis ausgefüllten Anträge sind von den anderen nicht mehr zu unterscheiden.

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