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Im richtigen Moment auf der Matte

Das Ende von Camp: Die elektronisch generierte Musik der Berliner Band Komëit kündet von der Verlorenheit im Stadtgewusel, doch auch von der Faszination des gleitenden, städtischen Chaos. Ein Besuch bei Chris Flor von Komëit im Haus des Reisens

von ANDREAS BECKER

Dieses Gebäude ist schon eigentümlich. Die „Sharp“-Reklame oben auf dem Dach leuchtet über den Alexanderplatz. Am Eingang gibt der ADAC seinen Auszug bekannt. Hinter einem hohen Tresen sitzt eine Dame und mustert einen kurz. Kein Wort. Es gibt vier Fahrstühle im Haus des Reisens. Die beiden vorderen fahren aber nicht wirklich nach ganz oben. Anstatt in den zwölften fährt der Fahrstuhl, Baujahr 1971 Dresden, automatisch zurück ins Erdgeschoss. Nirgendwo ein Zettel, wo es hinaufgeht, das hat was von Karriereplanung.

Im 12. Stock eröffnet sich vor einem eine verzweigte, großräumige Etagenlandschaft. Hier residiert der so genannte Ideenshop, der früher in der Gartenstraße zu Hause war. Eine Frau bastelt am PC an Klamottendesign, ein Architekturmodell aus Pappe liegt im Weg.

In einer Ecke hat Chris Flor von Komëit eine Art Ministudio aufgebaut. Um einen älteren PC mit inzwischen drei Festplatten tummeln sich Keyboard, Sequenzer, Minimischpult. Hier entsteht die Musik eines Duos, das erst seit anderthalb Jahren besteht und bislang eine EP und eine CD veröffentlicht hat. „Zartcore“ hat Chris oder irgendwer im Umfeld der Band das mal genannt, ein Begriff, den sie jetzt gar nicht mehr loswerden: „Alle Jornalisten stürzen sich darauf und verwenden es als neue Schublade.“ Von der Eigendynamik und Einfältigkeit des Musikjournalismus ist Chris überrascht und auch etwas enttäuscht, obwohl Komëit in der Presse bislang gut wegkamen.

Wir nehmen zwei Stühle und tragen sie in den vorderen, fast leeren Teil der 12. Etage. Unter uns friemeln sich die Autos durch, hinterm Haus des Lehrers sieht man die bunt blinkenden Lichter des Weihnachtsmarkts. „Vielleicht fahre ich nachher noch Karussell, was Schnelles“, sagt Chris. Der 29-Jährige studiert Amerikanistik und Germanistik an der Humboldt-Uni. Seine Bandpartnerin Julia Kliemann studiert Visuelle Kommunikation, sie hat heute keine Zeit. Es fällt schwer, sich Chris in einem schnellen Karussell vorzustellen.

Bedächtig jedenfalls wählt der gebürtige Darmstädter seine Worte. Er erzählt, wie die Stücke entstehen. Meist beginnt es mit einer Idee, die ihm beim Gitarrespielen kommt. Wenn ihm ein Pattern besser gefällt, sampelt er es im PC. Julia spielt ihre Einfälle meist auf dem Keyboard ein. Die sonstigen Samples stammen aus ganz unterschiedlichen Quellen. Alte Atari-Computerspiele zum Beispiel oder Fetzen von Platten, die Chris mag. Chet Baker und sein zerbrechlicher Gesang, die Smith. Die Drumsounds hat er aus diversen Orgeln rausgeklaubt. In seiner PC-Ecke führt er die Funktionsweise des Cubase-Programms vor. Für jeden Sound gibt es einen farbigen Balken. Visuelle Musik. Chris ist glücklich über die Möglichkeiten der Technik. Ohne sie könnte er seine Musik nicht herstellen. Vor allem die Übersicht in einem Track würde ihm fehlen. So weiß man ganz genau: Bei Grün beginnt Julias „zarter“ Gesang.

In der Spex durften Komëit ihre Lieblingsplatten zusammenstellen. Da nannten sie natürlich die Berliner Kollegen von Contriva, doch sonst gab es Gegensätzlichstes: Stina Nordenstam, den tollen Brasilianer Milton Nascimento, „Walk Out To Winter“ von Aztec Camera (jaa!) und „1979“ von den Smashing Pumpkins. Was wirklich toll ist an Komëit, ist die Unaufdringlichkeit ihrer Songs. Sie halten es aus, ein paar Stunden oder Tage in der Ecke deines Zimmers zu hocken, ihren Kram zusammenzupuzzeln und dann im richtigen Moment auf der Matte zu stehen. Die Rehabilitation des Einfachen, des intelligent Simplen. „End Of Camp“ ist so ein Lied mit richtigen Hitqualitäten – was aber in der Landschaft der Deppenradios keine Chancen hat.

Chris will sich nicht beschweren, aber ein paar mehr CDs könnten sich ruhig noch verkaufen. Wenn so ein Baby auf dem Markt ist, steht man ein wenig sinnlos im Weg herum. Chris schaut über den Alex, sieht ganz zufrieden aus. Ein paar graue Strähnen hat er. Ein Freund steht in der Tür, guckt kurz im Ideenshop vorbei. Wie wir da so sitzen, wäre die Komëit-Musik wohl ziemlich passend. Verlorenheit im Stadtgewusel, Faszination am gleitenden Chaos, Liebe zur Stadt – all das steckt darin. Chris freut sich auf das Konzert am Sonntag. Obwohl es nicht ganz einfach ist, ihre Musik live aufzuführen. Zuerst traten sie auf der Bühne mit einem CD-Player an, auf dem sie die nicht live produzierten Spuren abfahren konnten. Jetzt nimmt Chris die Hälfte seines kleinen Studios mit auf die Bühne. Elektronische Musik live zu reproduzieren, hat immer etwas Widersprüchliches. Aber Chris mag es, sein Zeug richtig laut zu hören und die Leute zu sehen. Es wird erst mal das letzte Livekonzert sein, denn die Uni fordert Zeit. „Nächster Fahrstuhl 22.30 Uhr“ steht über dem Knopf, das stimmt aber nicht. Irgendwie passen sogar die langsamen Fahrstühle zu Komëit

Komëit spielen am Sonntag beimtaz-Benefiz zusammen mit Maxi unter Menschen und Neoangin, ab 22.30 Uhr, Roter Salon der Volksbühne,Rosa-Luxemburg-Platz

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