wir lassen lesen: Trainerstürze: Ein Dokument für die Erinnerung
Geheuert, Gefeiert, Gefeuert
Abnutzungserscheinungen, schlaflose Nächte, Tabellensituation, Einkaufspolitik, Zuschauerproteste, Stimmungsmache, Demontage – der Verein muss reagieren, er muss handeln. Denn: Er strahlt keine Begeisterung mehr aus. Er kann die Mannschaft nicht richtig einstellen. Das Training ist falsch aufgebaut. Für den Abstiegskampf ist Er nicht der richtige Mann. Er hat sein Pulver verschossen. Und: Reisende soll man nicht aufhalten. Natürlich: Man will keine schmutzige Wäsche waschen. Aber: Man hat keine andere Wahl. Leider: Der Trainer zahlt die Zeche. Schließlich: Neue Besen kehren besser. Also: Im beiderseitigen Einvernehmen . . . Denn, jetzt hilft nur eins: Er muss ran, der harte Hund, er, der den Karren aus dem Dreck zieht, der mit eisernem Besen aufräumt.
Ob harter Hund, großer Zampano oder doch eher Gentleman, einreihen müssen sich schließlich (fast) alle Trainer in den Zyklus der zersägten Stühle; auch der eisenharte Otto Rehhagel, der am 1. Oktober 2000 vom 1. FC Kaiserslautern geschasst und in die Wüste geschickt wurde. Nur, seine Entlassung ist eine besondere, sie geht in die Fußballbundesliga-Annalen ein, denn mit ihm ist der 250. vorzeitige Trainerwechsel der Bundesligageschichte vollzogen.
Grund für Hardy Grüne, in „Geheuert, Gefeiert, Gefeuert. Die 250 vorzeitigen Trainerwechsel der Bundesligageschichte seit 1963“ eine Chronologie schief gelaufener Beziehungen, verbrauchter Ehen und verpfuschter Zweckgemeinschaften nachzuzeichnen. Statt einer Einleitung setzt er direkt mit den harten Fakten, mit der ersten Trainerentlassung der Bundesligageschichte, an: Am 30. Oktober 1963 ist es so weit, Herbert Widmayers Uhr in Nürnberg ist frühzeitig abgelaufen. Entlassen.
Bevor das Buch mit Rehhagel und aufschlussreichem statistischem Anhang (Hannover: zehn Trainerentlassungen in vierzehn Bundesligajahren) schließt, hat man das Vergnügen, 248 teils vergessene Trainer/Verein-Beziehungen an sich vorbeiziehen zu lassen. Jede Seite ein Trainerwechsel, jede Seite ein Name, ein Foto und ein Text, Erinnerungen werden evoziert. Schon allein die Aufzählung der Namen – Klimaschefski, Klötzer, Kronsbein – ruft Vergangenes und scheinbar Vergessenes hervor. Die Namen der Lautsprecher, Schleifer und Dirigenten glänzen aber erst richtig, wenn sie in die jeweiligen regionalen Kontexte verwebt werden. Oder wie es Uwe Klimaschefski zusammenfasst: „Mit meinen Cowboybeinen würde ich nach Texas passen, mit meinem Namen zu Torpedo Moskau, am wohlsten aber fühle ich mich in Homburg.“
Nette Anekdoten um Liebe, Leidenschaft und Hass, das ist die eine Seite der Geschichte; leider aber lässt sich aus den Texten sukzessive eine eher triste Struktur herauslesen, in der die Trainerprotagonisten, die harten Hunde, das Zentrum eines männergebündelten Systems bilden, das von Vorständen, Verwaltungsräten, Präsidenten, Managern und Fans unter Dauerspannung gehalten und von den Medien in einer Endlosschleife protokolliert, vermittelt und zusätzlich angefeuert wird (und das nicht erst, wie man vermuten könnte, seit der Zeit der „ran“-Reißer).
Ohne dieses Wissen ließe sich die eigentliche große Klasse von „Geheuert, Gefeiert, Gefeuert“ nicht erschließen. Denn die wahre Qualität, sozusagen die Wahrheit des Trainerberufs, wird auf der Ebene der Fotos vermittelt: die Einsamkeit. In jedem Porträtfoto steckt diese Wahrheit. Schlicht schwarzweiß kommt sie daher, auf jeder Seite findet sich ein Dokument ihrer Größe. Einsame Männer, ihres Umfeldes beraubt, ziehen Seite für Seite in nackter, entkleideter Größe vorbei. Die Einsamkeit, groß ist sie ihrem Wesen nach, schwer ist sie zu tragen. Im Trainerberuf findet sie einen ihrer Ausdrücke. Das hat metaphysische Qualität.
HENNING HARNISCH
Hardy Grüne: „Geheuert, Gefeiert, Gefeuert. Die 250 vorzeitigen Trainerwechsel der Bundesligageschichte seit 1963“. Agon Sportverlag, Kassel, 2000, 34 DM
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