: Also lasst uns saufen
■ Peter Lund und Claudia Doderer inszenieren Offenbachs Opernparodie „Orpheus in der Unterwelt“ am Bremer Theater. Sie wollen damit die Scheinmoral unserer Zeit anprangern
Jacques Offenbach, laut Gioacchino Rossini der „Mozart der Champs-Elysées“, kennen die meisten als den Komponisten seiner einzigen Oper „Hoffmanns Erzählungen“. Berühmt aber war er zu Lebzeiten als Verfasser der Einakter, die er „Bouffes Parisiennes“ nannte und die als Opernparodien eine Gattung sui generis sind. Diese Offenbachiaden waren die Attraktioen der Weltausstellungen 1855 und 1867. Ihr Thema sind die Schwächen und die Korrumpierbarkeit der Menschen. „Sie könnte Tote erwecken, diese Musik“, schrieb ein Zeitgenosse, und ein anderer notierte: „Die Leute lachen, klatschen und weinen, als ob ein Wunder geschehen wäre.“
Am Bremer Theater inszeniert jetzt Peter Lund, der Leiter der Neuköllner Oper Berlin, „Orpheus in der Unterwelt“, in dem die Machenschaften Napoléons III, die bürgerliche Ehe des Geigenlehrers Orpheus mit Eurydike und nicht zuletzt die Funktion der öffentlichen Meinung im Mittelpunkt stehen. Wir sprachen mit Peter Lund über seine Konzeption. An dem Gespräch nahmen außerdem der Dramaturg Norbert Klein und die Bühnenbildnerin Claudia Doderer teil. Sie arbeitet seit Jahren mit Peter Lund in besonderer Form zusammen: Bei diesem Duo folgt das Bühnenbild nicht einfach der Regiekonzeption, sondern beides entsteht gemeinsam und in Wechselwirkung.
taz: Kann man angesichts des Erfolges, den Jacques Offenbach zu Lebzeiten hatte, sagen, dass diese Gesellschaft des zweiten französischen Kaiserreiches sich die Kritik an sich selbst, die Karikatur über sich sozusagen geleistet hat? Immerhin war Offenbach unbarmherzig. Zugleich wird ihm auch vorgeworfen, dass er so berühmt wurde, weil er das System benutzt hat.
Norbert Klein: Es war beides. Er war systemtragend, liebte seine Zeit, er war aber in seinen Stücken vollkommen anarchistisch.
Peter Lund: Offenbach macht ganz einfach den Kopf wieder frei. Nehmt Euch nicht so ernst, appelliert er immer wieder mit seiner Kunst. Aber es geht ja nicht nur um die Vorlage. Niemand würde heute eine schlechte Kopie von Kohl sehen wollen. Denn verlogene Machtpolitiker sind sie bis heute alle, richtig sympathische Arschlöcher. Es ist kein tagespolitisches Kabarett, sondern es geht um die Austauschbarkeit der Figuren, um Strukturen. Das ist auch schon bei Molière, Goldoni und anderen so. Die Kunst von Offenbach ist einfach auch an sich gut.
Claudia Doderer: Weil sie diese Typen nicht als zeitgebunden, sondern auch als Archetypen zeigt.
Sie haben eben schon angefangen, über die Figur Jupiters à la Napoléon, à la Kohl zu sprechen. Können Sie noch mehr dazu sagen, was die Aktualität Offenbachs in der heutigen Zeit ausmacht?
Lund: Unsere Gesellschaft ist noch immer total verlogen. In der Scheinmoral, die im Stück kritisiert wird, wurden wir fündig. Es geht um drei Punkte, die sich bis heute nicht verändert haben: Ehe, Liebe und das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft. Nimmt man die Kunst ernst oder leicht? Theater kostet viel Geld – lohnt sich das? Offenbach parodiert ja mit seiner Form auch die Form der Oper.
Doderer: Wir untersuchen das Stück gemeinsam, sozusagen archäologisch.
Lund: Für den berühmten Tanz „Cancan“ stellt sich ja die Frage, worin lag denn eigentlich der Skandal, wo das Vergnügen? Ein hochgeschwungenes Frauenbein erreicht heute niemanden mehr. Und doch ist dies ein typisches Merkmal der Operette, die ja eigentlich tragisch ist: Es ist doch nichts zu ändern, also lasst uns saufen.
Es gibt die Fassung von 1858 und die von 1874. Was ist anders und welche spielen Sie?
Lund: 1858 war's eine kleine Operette, dann ein großes Stück mit eigentlich zu großem Orchester. Wir haben auf der Grundlage der ersten Fassung das Stück um- und neugeschrieben, und ich denke, das ist im Sinne Offenbachs. Daniela Sindram als „öffentliche Meinung“ hat erst vor wenigen Tagen ihre letzte Szene gekriegt. Die Juno hat im Original nur vier Sätze, ich habe sie ausgebaut.
Doderer: Das ist ein ganz kreativer gegenseitiger Prozess: Manchmal gibt's auch neue Texte nach dem Bühnenbild.
Sie führen in Berlin die Neuköllner Oper, die sich neben zeitgenössischen Werken auf Operetten spezialisiert und einen Namen gemacht hat. Gilt denn das, was Sie über Offenbach sagen, für die Operette generell?
Lund: Genau. Die Operette ist immer ein Reflektionsspiegel einer Gesellschaft, sie ist nie nur lustig.
Heißt denn das, sie wird immer falsch inszeniert?
Lund: Genau. Es gibt natürlich auch Operetten, die irgendwie Oper sein wollen, und da wird's fatal. Franz Léhar ist zum Bespiel so einer.
Sie haben vorhin gesagt, dass Daniela Sindram eine neue Szene bekam, weil es Daniela Sindram ist. Haben Sie mit der ganzen Besetzung so intensiv persönlich gearbeitet?
Lund: Ja. Die meisten Texte sind entstanden aufgrund bestimmter Persönlichkeiten. Das macht die Inszenierung auch so anfällig gegen Krankheiten, eigentlich kann niemand ersetzt werden.
Ute Schalz-Laurenze
Die Premiere ist heute, Samstag, um 19.30 Uhr im Theater am Goetheplatz.
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