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born to shop

Die Bundesprüfstelle indiziert jetzt „Mein erstes Shopping Buch“ gerade wie neonazistische und pornografische Titel. Denn Einkaufsregeln wie „Kaufe das, was deine Freunde sich nicht leisten können“, sind sozialethisch desorientierend

Die ganze Welt ist ein Shop. Und wir müssen permanent kaufen. Sollen kaufen. Wollen kaufen. Allerdings müssen wir zunächst wissen, was es gibt, damit wir wissen, was wir wollen. Deshalb gibt es Werbung. Gern nimmt sie sich unseres unkontrollierten, desorientierten Konsumverhaltens an und appelliert an unser Markenbewusstsein. Also kaufen wir schließlich Persil, da weiß man, was man hat.

Die heutige Gesellschaft scheint zum Shoppen geboren. Nur Kinderkonsum ist ein Tabu. Anders lässt sich für Judith Wilske (31) und André Erlen (26) die Indizierung ihres Shopping-Ratgebers für Kinder nicht erklären. Seit Anfang des Monats steht „Mein erstes Shopping Buch“ offiziell auf dem Index für Jugend gefährdende Schriften. Die Begründung der Bundesprüfstelle in Bonn, weshalb ein Shopping-Ratgeber jetzt in gleichem Atemzug mit neonazistischen und pornografischen Titeln genannt wird, klingt trotz siebenseitigen Gutachtens so einfach wie unverständlich: Kinder würden durch das Buch „sozialethisch desorientiert“. Ihre gesunde sittliche Entwicklung sei durch die Lektüre in hohem Maße gefährdet. Wie war das gleich noch mit der Mücke und dem Elefanten? Handelt es sich doch im Grunde um ein moralisch und pädagogisch durchaus korrektes Projekt: Das Buch soll einkaufenden Kindern Denkanstöße über die heutige Shopping-Realität verpassen – nicht ermahnen, sondern anregen, sich mit dem alltäglichen Konsummasochismus auseinanderzusetzen. Provokation pur, ohne die übliche Doppelmoral. Nun gut, berufsbedingt kann man die Aufregung und Antragstellung der Herrschaften des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vielleicht noch verstehen. Schließlich liest sich das Buch wie eine impertinente Werbung für das Einkaufen selbst. Auf seinen 14 bunten Pappseiten erklärt es pointiert, wie man richtig shoppt, fordert zum Kauf von Markenartikeln auf und behauptet dreist, dass ausschließlich neue Dinge wertvoll seien, ausgesucht nach dem Höher-schneller-teurer-Prinzip, um vor Freunden wirkungsvoll imponieren zu können. „Kaufe das, was deine Freunde sich nicht leisten können“, lautet die neunte goldene Einkaufsregel. Dafür muss allerdings auch mehr Geld her („Merke! Es ist besser, viel Geld zu haben“), mehr Taschengeld von den Eltern natürlich, sonst wäre man schließlich gezwungen zu stehlen.

Zugegeben, eine freche und irritierende Lektüre. In ihrer Angriffslust damit offenbar zu unverfroren ehrlich für die ältere Generation. Trotzdem bleibt völlig unverständlich, wie die Experten des Prüfungsgremiums ernsthaft verteufeln können, worüber jedes Kind lachen wird. Oder – im Idealfall – diskutiert, so wie es Judith Wilske jetzt auf ihren bundesweiten Lesungen nur mit den Eltern und Personen über 18 Jahren tun darf. Am durchaus bedenklichen Markenbewusstsein in deutschen Kinderzimmern wird das leider wenig ändern. Das Buch vielleicht auch nicht. Dennoch gut zu wissen, dass „Mein erstes Shopping Buch“ in der ersten Auflage von 2.000 Stück bereits vergriffen ist. PAMELA JAHN

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